Der Pol der freien Software

Brasiliens Kulturminister Gilberto Gil fordert die „Landreform des intellektuellen Großgrundbesitzes“ und gibt eines seiner Lieder zum Remix frei

Das „Internationale Forum der freien Software“ von Porto Alegre entwickelt sich zum Weltsozialforum der Computerfreaks. Knapp 5.000 Teilnehmer aus 35 Ländern versammelten sich letzte Woche in der Katholischen Universität, das Medieninteresse war groß wie nie. Noch umjubelter als der Linux-Guru John Maddog Hall war diesmal Gilberto Gil, der seine Doppelrolle als Minister und Popstar sichtlich genießt. Auf dem Forum hielt er eine Grundsatzrede, im Stadtzentrum spielte er einige Songs.

Deutlich wurde aber auch, warum Gil von seinem Weggefährten Caetano Veloso einmal listig „Lulas Lula“ genannt wurde: Seine schillernde Rhetorik von „einer Art Landreform gegen die Hegemonie großer Firmen“, der „Notwendigkeit, intellektuellen Großgrundbesitz zu enteignen“, verzückt die Computergemeinde. „Brasilien muss zu einem Pol der freien Software werden“, sagte Gil vor 2.000 Zuhörern. „Das ist der Weg zur Einbeziehung aller Brasilianer in das zeitgenössische kulturelle Universum.“

Sein Plädoyer für die „pragmatische Umsetzung eines weiteren Projekts unserer realistischen Utopien“ bestand zur Hälfte aus einem langen Zitat aus dem programmatischen Essay „Selling wine without bottles“ des Cyber-Vordenkers John Perry Barlow aus dem Jahre 1994. Barlow fordert darin eine völlige Neuregelung des Urheberrechts und warnt vor einer „juristischen und sozialen Konfusion“.

Auch wenn Gil hierzu ebenfalls noch keine schlüssige Konzepte vorgelegt hat, interessante Einzelprogramme wie der Aufbau einer digitalen Bibliothek brasilianischer Musik sind bereits in die Wege geleitet. Und als Musiker setzte er jetzt ein Zeichen mit hohem Symbolgehalt: Er gab das Lied „Oslodum“ aus dem Jahr 1998 für die „Recombo“-Lizenz der in den USA entwickelten Initiative „Creative Commons“ frei – in Kürze kann es im Internet heruntergeladen und verändert werden, ohne dass die Anwälte Gils auf den Plan treten. Auch drei ältere Klassiker wollte er freigeben, aber der Unterhaltungsmulti Warner als Rechteinhaber spielte nicht mit.

Der Creative-Commons-Begründer Lawrence Lessig, seit Jahren einer der prominentesten Aktivisten für einen freien Cyberspace, sieht Gils Unterstützung als Hoffnungszeichen und Botschaft an die US-Regierung. „In dieser Debatte seid ihr unsere Brüder“, rief der Rechtsprofessor aus Stanford den brasilianischen Computerfreaks zu. „Ihr erinnert uns an die Freiheitsideale, die wir verloren haben.“ In den USA tobe ein „Copyright-Krieg“, in dem Kinder „wie Terroristen“ behandelt und die Gegner einer totalen Reglementierung als Kommunisten und Diebe diffamiert würden. Lessigs Kollege William Fisher aus Harvard schlug steuerfinanzierte Entschädigungssysteme vor, in denen die Künstler je nach Menge der Downloads bezahlt werden. Doch die dürften ebenso schwierig umzusetzen sein wie die Landreform in Brasilien.

GERHARD DILGER

www.creativecommons.org, heute, Sa., 12. 6., 10 Uhr: Internationale Creative-Commons-Initiativen stellen sich vor, Congress Center, Alexanderplatz 3, mehr dazu: www.wizards-of-os.org