: Rot-Grün soll es richten
Zum Start der EM hat der Premierminister der Gastgeber seinen Kickern die Last genommen, den Wirtschaftsaufschwung Portugals einleiten zu sollen. Europameister müssen sie trotzdem werden
AUS LISSABON MATTI LIESKE
Der wackere Kämpe, der einst diesen alten Eisenspieß trug, um möglicherweise die Mauren aus Portugal zu vertreiben oder Vasco da Gama bei seinen Seereisen vor unliebsamen Überraschungen zu bewahren, wäre sicherlich beleidigt. Schlimm genug, dass sein ehrwürdiges Kriegsgerät inzwischen dazu dient, vor der Bar Columbus in Faro das Schild mit dem Porträt des Namenspatrons in der leichten Meeresbrise baumeln zu lassen. Jetzt muss es sich auch noch die besondere Entweihung gefallen lassen, dass ein schnöder Projektor auf ihm befestigt wird. Gegenüber hängt in den Arkaden vor der Bar schon die zugehörige Leinwand, die dann, als alles installiert ist, nur ein sehr mattes Bild liefert. Verdunkelung muss her, wozu natürlich nur die portugiesische Fahne taugt, während der Rest der Arkadenfront und ein guter Teil des Ortszentrums schon mit grünen Transparenten der Firma Carlsberg zugehängt ist, dem Biersponsor der EM 2004.
Die letzten Vorbereitungen werden getätigt, die Stadt hallt wider von Hämmer- und Bohrgeräuschen, das Fieber steigt. In Faros „Fun Zone“, dem für EM-Festlichkeiten vorgesehenen Areal im Zentrum, wird, wie in allen EM-Städten, massenhaft grüner Kunstrasen verlegt, der beim Drauftreten komische Geräusche von sich gibt. Sogar neue Telefonboxen wurden aufgestellt, in Fußballform, versteht sich, und offenkundig von Adidas gesponsert. Sogar die klobigen weißen Gipsfiguren am Flughafen mit den in den Nacken gelegten Köpfen scheinen nicht mehr nach Flugzeugen am Himmel auszuschauen, sondern einer Bogenlampe von Fernando Couto nachzublicken. Eine Menge Aufwand für die drei Spiele, die Faro abbekommen hat, aber man ist entschlossen, das Beste aus der Sache zu machen – zumal die ersten Klagen darüber eingehen, dass die EM für die Algarve eher geschäftsabträglich ist, weil sie die „normalen“ Touristen abschreckt, die chaotische Zustände und – nicht zu Unrecht – erhöhte Preise fürchten. Dafür werden allein zur heutigen Partie Russland – Spanien 6.000 Russen erwartet, von denen allerdings eine ganze Menge erst heute einfliegt und kaum Gelegenheit haben wird, sich allzu ausgiebig in der Fun Zone von Faro zu tummeln.
In Lissabon regiert eindeutig Rot-Grün. Was allerdings weder mit politischen Konstellationen noch mit dem Europawahlkampf zu tun hat, der äußerst undramatisch verlief, bis der sozialistische Spitzenkandidat Sousa Franco am Mittwoch während einer turbulenten Wahlveranstaltung einem Herzinfarkt erlag. Der Tod des Politikers hat einen gewissen Schatten auf die Festlichkeiten in Lissabon geworfen, vor allem, weil deshalb einige große Kulturveranstaltungen ausfielen und sogar die Absage der heutigen traditionellen Umzüge anlässlich des Geburtstages des Heiligen Antonius erwogen wurde, für die etliche Ortsgruppen seit Wochen geprobt und Kostüme genäht haben. Das Zusammenfallen der Feiertage zu Ehren des in Lissabon geborenen Heiligen und des Beginns der Fußball-EM sorgt für einen gesteigerten Partypegel in der ohnehin stets vergnügungsbereiten Stadt, kaum auseinander zu halten, welchem Ereignis die unzähligen Bierstände und Sardinengrills jeweils zuzuordnen sind. Dass die Fußball-Europameisterschaft jedoch einen beträchtlichen Platz im Bewusstsein der Leute okkupiert, zeigen die Fahnen und Fähnchen in den Landesfarben Rot und Grün, die aus jedem zweiten Fenster hängen und auch sonst allgegenwärtig sind im Stadtbild.
Mag das portugiesische Team auch seit einem Jahr kein Spiel mehr gewonnen haben und trotz des Heimvorteils nur zögerlich als Favorit genannt werden, für die Portugiesen ist klar, dass es diesmal passieren muss. Die goldene Generation, die Anfang der Neunzigerjahre zwei Junioren-Weltmeistertitel holte, hat es ebenso wenig wie Eusebios legendäre Mannschaft oder das brillante EM-Team von 1984 geschafft, die Hoffnungen zu erfüllen und endlich einen großen Titel nach Portugal zu holen. Nun soll das reformierte Konstrukt des Brasilianers Felipe Scolari die Dinge ins Lot bringen. Die meisten Akteure der alten verschworenen Gruppe um Luis Figo hat der Weltmeistercoach nach seiner Amtsübernahme in Rente geschickt, sogar den Torhüter Vitor Baia vom Champions-League-Gewinner FC Porto, was nicht einmal der Verbandspräsident versteht, wie er dem Keeper kürzlich so indiskret mitteilte, dass ein Journalist mithören konnte. Nur Figo, Rui Costa und Couto sind noch dabei, und vor allem Luis Figo, der Kapitän, hat es nicht versäumt, lautstark über die Ausmusterung seiner langjährigen Mitstreiter zu meckern und die Berufung nationalisierter Spieler wie des ehemaligen Brasilianers Deco zu kritisieren. Figo ist nach wie vor der große Mann im Team, omnipräsent sein Konterfei in Anzeigen und auf Plakaten der vielen Sponsoren des Teams. Trotz seines Murrens hofft man, dass die neue Mischung genau die richtige sein wird, um das zu erreichen, was vor vier Jahren tragisch misslang. Der spektakuläre Europacupgewinn des FC Porto hat die Erwartungen zusätzlich angeheizt, auch wenn der ausgewiesene Porto-Hasser Scolari die meisten Akteure des Meisters, wie Deco, Maniche oder Carvalho zunächst auf der Bank platzieren wird.
Der Optimismus ist gewaltig, dennoch wird dem heutigen Eröffnungsspiel gegen Griechenland auch mit einer gewissen Bangigkeit entgegen gesehen. Man möchte den Viertelfinaleinzug erledigt haben, bevor man im letzten Gruppenspiel auf Spanien trifft, gegen das man zuletzt 0:3 verlor, und dafür ist ein Sieg gegen die Griechen unerlässlich. „Traue nicht den Danaern, auch wenn sie Geschenke bringen“, haben die Portugiesen jedoch aus dem Film „Troja“ gelernt, der mit großem Erfolg in den hiesigen Kinos läuft. Otto Rehhagel kommt ihnen vor wie eine besonders schurkische Inkarnation des alten Agamemnon, der Genesungsprozess des gefährlichen Angreifers Nikolaidis bewegte sie so intensiv wie die Mannen des Priamos einst die Frage, ob sich der grimme Achilles nun doch wieder ins Kampfgetümmel stürzen würde. Die schlechte Nachricht: Nikolaidis scheint fit zu sein. Die gute: Der Premierminister hat eine gewaltige Last von den Schultern der Spieler genommen. „Die portugiesische Wirtschaft ist nicht abhängig vom Abschneiden der Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft“, ließ Durão Barroso das Team bei einem Besuch im Trainingslager wissen. „Das Einzige, was das Land von euch erwartet, ist der Europameistertitel“, fügte er bescheiden hinzu. Rot-Grün wird es schon richten.