: Konjunktur nur für Jean-Claude Trichet
EU-Finanzminister schieben Berlusconis Vorschlag, bis zu 70 Milliarden Euro in Konjunkturprogramm zu stecken, auf die lange Bank. Einig sind sie sich, dass der Stabilitätspakt weiterhin gilt und dass Frankreichs Notenbankpräsident Trichet EZB-Chef wird
von GERD RAUHAUSund KATHARINA KOUFEN
Zumindest zwei europäische Präsidenten waren gestern über die Sitzung der Finanzminister der Eurozone nicht sehr glücklich: Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi und Frankreichs Präsident Jacques Chirac. Berlusconi, weil er sich die erste Ratssitzung unter italienischer Präsidentschaft glorreicher ausgemalt hatte und stattdessen einen Dämpfer erhielt. Sein Vorschlag, mit 50 bis 70 Milliarden Euro die Konjunktur EU-weit anzuheizen, wurde erst mal auf die lange Bank geschoben. Der deutsche Staatssekretär im Finanzministerium Caio Koch-Weser sagte nach der Sitzung, man wolle im Oktober einen „Zwischenbericht“ vorlegen. Kenner der Brüsseler Bürokratie gehen nun davon aus, dass das Thema damit für eine Weile vom Tisch ist.
Aber die Finanzierung ist bisher völlig unklar. Die europäischen Finanzminister wollten der EU diese Ausgaben daher nicht auch noch aufhalsen, und auch unter den Wirtschaftsministern gibt es unterschiedliche Auffassungen über die Wirksamkeit solcher Programme. Berlusconi dürfte die Absage zudem als gezielten Schuss vor den Bug wegen seines verunglückten Auftritts vor dem Europäischen Parlament gewertet haben.
Chirac hatte keine derartigen Vorbehalte zu überwinden, und doch schenkten die Finanzminister seinen Vorstellungen von einer Lockerung des EU-Stabilitätspakts keine Beachtung. Sie diskutierten sie nicht einmal. Dabei hatte Chirac den französischen Nationalfeiertag genutzt, um über das Fernsehen die Lockerung des Pakts anzukündigen. Es gehe ihm um die gemeinsame Prüfung der „Bedingungen für eine temporäre Lockerung der Regeln“. Der niederländische Finanzminister Gerrit Zalm kommentierte den Vorschlag trocken und bündig: „Die Erstürmung der Bastille war eine bessere Idee.“ Sein österreichischer Kollege erklärte, es gebe „keine Interpretations- und Aufweichungsfrage“.
Am meisten mag Chirac aber die deutsche Haltung enttäuscht haben, denn noch vor etwa zehn Tagen hatte Gerhard Schröder Impulse für die Konjunktur für wichtiger als die Einhaltung der Defizitgrenze der Stabilitätsgrenze gehalten und von einer „flexiblen Auslegung“ gesprochen. Das konnte Chirac für eine mögliche Unterstützung seiner Wachstumspläne halten. In Brüssel wies Schröders Finanzminister Hans Eichel (SPD) den Chirac-Vorschlag jedoch brüsk zurück: „Wir brauchen keine Diskussion um Lockerung und Veränderung.“ Die europäischen Finanzminister wüssten schon, wie sie den Pakt „vernünftig und gemeinsam anwenden“, so Eichel.
Deutschland hat wie Frankreich das Problem, in diesem und im nächsten Jahr erneut die Defizitobergrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu überschreiten. Dies wäre bereits das dritte Mal in Folge – und damit drohen Sanktionen der EU-Kommission. Doch Deutschland hat den Stabilitätspakt seinerzeit durchgesetzt und kann sich nun schlecht davon distanzieren, weil es Schwierigkeiten mit den Kriterien hat. Chiracs Finanzminister Francis Mer steckt zwar nicht in diesem Dilemma, versuchte aber dennoch, die Äußerungen seines Präsidenten abzuschwächen: Auch für Chirac sei Stabilität „ein Muss“, aber darüber dürfe das Wachstum nicht vergessen werden. Vergeblich – Eindruck bei seinen Kollegen hinterließ Mer nicht.
Der geringste Diskussionsbedarf bestand gestern für einen dritten Punkt auf der Tagesordnung: die offizielle Ernennung von Jean-Claude Trichet zum neuen Chef der Europäischen Zentralbank (EZB). Der Franzose wird ab dem ersten November Nachfolger des Niederländers Wim Duisenberg, der dann vorzeitig sein Amt niederlegt. Dies entspricht einem Kompromiss, der 1998 gefunden wurde, kurz bevor die EZB ihre Arbeit aufnahm. Damit wollten die EU-Minister die Franzosen besänftigen, die sich durch die Wahl des Niederländers zum Chef und der deutschen Stadt Frankfurt zum EZB-Sitz zurückgesetzt fühlten.
Bis Mitte Juni galt als ungewiss, ob Trichet sein Amt tatsächlich antreten kann. Gegen ihn lief ein Verfahren wegen des Verdachts auf Beihilfe zur Bilanzfälschung. Trichet war Anfang der Neunzigerjahre als Leiter des Schatzamtes im Finanzministerium für die Aufsicht über die damals noch staatliche Bank Crédit Lyonnais verantwortlich. Am 18. Juni verkündeten die Richter jedoch den Freispruch Trichets.