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Archiv-Artikel

Verkehr als inneres Erlebnis

Im winzigen Theater-Mobil kann sich kein Zuschauer der Atmosphäre von „Wovor hast du eigentlich Angst?“ entziehen

Ritsch-klick. Ein Druck auf die Zentralverriegelung und geräuschhaft verschwinden die Knöpfe in der Türverkleidung des Mini-Coopers. Die Zuschauer sind eingeschlossen. So bedrückend, so entmündigend kann eine gute Theatererfahrung beginnen.

Sie muss es sogar: Nichts nämlich könnte drastischer die eigene Passivität spüren lassen, als eingesperrt zu sein in einer Blechbüchse. Auf Rädern zwar, mit Fenstern auch, aber aus denen lässt sich nur hilflos rausschauen, auf die staubige Fläche vor der Schwankhalle. Der Schlüssel ist draußen. Drinnen ist es eng, verflixt, gerade auf der Rückbank.

Das ist, in Anja Wedigs Regie, der Anfang von Richard Dressers Zweipersonenstück „Wovor hast du eigentlich Angst?“: Es beginnt, noch bevor ein Wort gesprochen, bevor ein Schauspieler überhaupt zu sehen ist, als Atmosphäre. In die hat sich der Zuschauer begeben, als er den Rücken beugt, um auf die Sitze zu gelangen. Zwei genau passen dorthin. Auf mehr Publikum verzichtet die Produktion fürs FreiRäumen-Festival.

Mag sein, dass der Text anders nur zum dürftigen Amüsement reichen würde. Anja Wedig hat ihn aber nicht so sehr beim Wort als vielmehr bei der Situation genommen: Das Auto ist die Zelle. Sie zwingt Fahrer und Beifahrer in ein sehr ungleiches Verhältnis. Das, so symbolisiert ein wütender Fahrstil, kann durchaus übel enden. Beklemmend.

Zwei Varianten dieser Standard-Befindlichkeit des Alltagskrieges hat Dresser ineinander montiert: Hendrik Pape schmeißt den Bauhelm in den Kofferraum, klemmt sich hinters Steuer und brettert davon. Er trifft eine Anhalterin – braun, extrablond mit großen Augen: Irina Kastrinidis. Vollbremsung. Sicher fährt er sie genau wohin sie will. Zuerst aber zu einem ruhigen Plätzchen. Exaltiertes Knutschen. Zu eng: Raus auf die Wiese. Ficken. Zurück in die Karre, zurück auf die Straße, das Begehren flacht ab, die Rollen verschieben sich. Jetzt sind die Zuschauer die Kinder. Die Mutter tranquilisiert sie, der Vater quält sich durch den Stau, der Motor versagt.

Der beste, der einzig wahre Schluss wäre ein Crash: Die Parallel-Welten im Mini-Auto müssten einander gegenseitig aufheben. Nur ist das nicht darstellbar. Geläutert, das Fenster weit geöffnet stattdessen geht’s entspannt nach Hause, wo die gute Frau mit dem Essen wartet. „Ja“, jubiliert der Fahrer, „ich habe Angst!“ Zurecht. Benno Schirrmeister

Täglich bis Samstag, jeweils um 18 und 20 Uhr. Karten: ☎ (04 21) 70 01 41