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Archiv-Artikel

BUNDESGERICHTSHOF STÄRKT MIETER IM STREIT UM MIETMINDERUNG Nur Heuchler verwirken ihre Rechte

Zurückhaltende Menschen haben es nicht leicht in dieser Gesellschaft. Sie erleiden oft Nachteile bei der Karriere, beim Kennenlernen anderer Menschen – und im Mietrecht. Denn wer einen Mangel der Mietwohnung lange erduldete, bevor er vom Vermieter eine Mietminderung forderte, ging bisher völlig leer aus. Ebenso wie derjenige, der Streit vermied und es erst mal mit freundlichen Worten versuchte.

Dies hat der Bundesgerichtshof jetzt geändert und damit eine Vorgabe der rot-grünen Mietreform aus dem Jahr 2000 umgesetzt. Künftig gilt die Regel nicht mehr, dass eine Mietminderung zwingend binnen sechs Monaten nach Auftreten des Mangels eingefordert werden muss. Natürlich ist dies ein mieterfreundliches Urteil, doch letztlich werden auch die Vermieter davon profitieren. Schließlich sind die Mieter nicht mehr gezwungen, gleich mit dem Anwalt zu drohen, und das kann dem Hausfrieden ja nur gut tun.

Völlig klar ist die neue Rechtslage allerdings noch nicht. Denn der Bundesgerichtshof hat angedeutet, dass die Mietminderung auch künftig „verwirkt“ werden könne, wenn sich der Mieter zu lange nicht rührt. Die Grenze läge dann nicht mehr bei sechs Monaten, sondern müsste im Einzelfall bestimmt werden. Wenn die gestrige Entscheidung nicht leer laufen soll, darf die Verwirkung der Mietminderung sich aber nur auf Extremfälle beziehen, etwa wenn ein extrovertierter Heuchler den Vermieter jahrelang mit den Worten begrüßt: „Alles bestens!“.

Alle anderen Mieter – die duldsamen und gesprächsbereiten, die sprachgehemmten Ausländer oder die Mieter, die unter einem langsam schlimmer werdenden Mangel leiden – sollten künftig frei entscheiden können, wann sie zur Konfrontation übergehen und ihre Rechte einfordern.

Ein Faktor wird die Zurückhaltenden auch weiterhin zur Eile anhalten: Die Mietminderung kann nur für die Zukunft geltend gemacht werden. Aber das ist auch richtig, denn wenn der Vermieter von einem Mangel nichts erfährt, kann er ihn auch nicht abstellen. CHRISTIAN RATH