Es gibt keinen Generationenkampf

Die Rentner schröpfen den Sozialstaat, darum kündigen die Jungen ihm die Solidarität. Diesen Spruch kann man noch so oft wiederholen – richtig wird er dadurch nicht

Es reicht nicht mehr, Umlagefinanzierung mit moralischenVokabeln zu beschreiben

Vor einer „unheilvollen Frontenbildung“ zwischen Rentnern und Arbeitnehmern, sprich Alt und Jung, warnt Bundespräsident Johannes Rau. Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD) fordert die Rentnerlobby auf, „solidarisch“ mit dem Nachwuchs zu sein, der die Renten schließlich erarbeite. Jungpolitiker machen sich zu Generations-Sprachrohren und verlangen, statt des erwerbstätigen Nachwuchses die Rentner mit den Kosten von Arbeitslosigkeit und Demographie zu belasten. „Deutschland 2020. Für mehr Generationengerechtigkeit“ heißt etwa das Papier, das junge Abgeordnete fast aller Fraktionen nächsten Montag vorstellen wollen.

Die Rede von Solidarität und Generationenverhältnissen bekommt in der aktuellen Debatte um die Sozialreformen einen neuen Dreh. Der Vorwurf an die Rentner, sie seien nicht solidarisch genug, wenn sie sich gegen Nichterhöhung ihrer Renten oder gegen höhere Krankenkassenbeiträge wehren, kehrt dabei einen schon länger bestehenden Vorwurf einfach um: Die Jüngeren seien es, die den „Generationenvertrag“ kündigten. Sie hätten keine Lust mehr auf „Solidarität“ sowie darauf, in die sozialen Sicherungssysteme einzuzahlen.

Demnach sei die jüngere Generation – soweit sie überhaupt schon Geld verdient – schuld, wenn jetzt Renten-, Pflege- und Gesundheitssystem filetiert und privatisiert werden. Ja, sie identifiziere sich überhaupt erst als Generation, weil der Wohlfahrtsstaat bröckelt, behauptet etwa der Generationenforscher Heinz Bude – sei doch der Bruch des staatlichen Sicherheitsversprechens seit 1990 eines der wenigen geteilten Erlebnisse der unter 40-Jährigen.

Und die schlagen nun zurück: Was habt ihr uns denn noch zu bieten?, fragen sie trotzig und verweisen darauf, dass sie schließlich die Gelackmeierten seien: müssen mehr Geld in die Rentenkasse einzahlen, als sie herausbekommen, müssen arbeiten, bis sie 67 sind, und den Rentnern mehr von ihrem Lohn abgeben, als die es getan haben, bis sie sich mit gut 60 in den Schrebergarten verabschieden durften. Die Alten von heute haben also mehr vom Sozialstaat profitiert, als die Jungen das je tun werden. Stimmt aber nicht, klingt bloß gut. Der Kampf um die Sozialsysteme ist nur ein eingebildeter Kampf der Generationen. Der Generationenbegriff wird zum politischen Vehikel, um Kosten zu entgesellschaften.

Zwar ist die Forderung der unter 40-Jährigen, dass sie genug Geld übrig haben müssen, um sowohl in die Rentenkasse als auch in eine Privatvorsorge einzahlen zu können, berechtigt. Doch diese Forderung können sie ebensogut wie an die Rentner auch an die Arbeitgeber oder an die Politiker richten, die Niedriglohnsektoren für den Stein der Weisen halten.

Es ist richtig, auch die Rentner dafür bezahlen zu lassen, dass die sozialen Sicherungssysteme erhalten bleiben. Aber aus dem einzigen Grund, weil alle dafür zahlen sollten, die Geld haben, und weil unter „Geld“ nicht mehr nur „Lohn“ verstanden werden muss, sondern Einkommen und Vermögen jeder Art: Mieten, Zinsen, Kapital – wovon die Deutschen im Schnitt umso mehr haben, je älter sie sind.

Nicht berechtigt ist dagegen die Behauptung, die Rentner zockten den Sozialstaat ab und für den Nachwuchs bleibe nichts mehr übrig. Jede Generation hat ihre eigenen Vor- und Nachteile in der Wohlfahrtsrepublik erlebt und zu erleben. Diese Vor- und Nachteile lassen sich kaum unterteilen in steuerlich und „solidarisch“ finanzierte Faktoren und Effekte. Noch schwerer lassen sie sich gegeneinander aufrechnen.

Doch wenn wir schon einmal dabei sind: Die Jung-Abgeordneten und ähnlich Gesinnte, die nach Generationengerechtigkeit rufen, übersehen komischerweise, dass sie schon als Studenten auf größerem Fuß gelebt haben als ihre Eltern im selben Alter. Als Mädchen durften sie selbstverständlich genauso viel lernen wie als Jungen (übrigens werden Generationenkonflikte überhaupt immer nur nach den Maßstäben männlicher Biografien ausgefochten – Zufall?). Viele von ihnen werden dank des Umstands, dass der deutsche Wohlfahrtsstaat private Vermögensbildung immer gefördert hat, so viel erben, dass sie sich bestimmt keine Zukunftssorgen machen müssen.

Ungenannt bleibt dabei, dass es vor allem nur zwei Gruppen gibt, die von den Einschnitten in die Sozialsysteme wirklich dauerhaft betroffen sein werden: Die, die nichts zu vererben haben – und deshalb auch kein Kapital, um etwa Pflegekosten abzudecken –, und die, die weder erben noch Vermögen bilden können. Unschwer zu erkennen, dass zu diesen Gruppen Jung und Alt gehören.

Darüber hinaus war der „Generationenvertrag“ nie ein Vertrag, seine Grundlage nie „Solidarität“. Es handelte sich bei dem Konzept „Generationenvertrag“ immer nur um eine griffige Beschreibung der Funktionsweise, eine Verkaufsvokabel also für die umlagefinanzierten Sicherungssysteme. Das auf moralischen Vorstellungen gegründete Konzept von „Vertrag“ und „Solidarität“ ist problematisch – aber nicht deshalb, weil der lohnarbeitende Nachwuchs vor lauter Egozentrismus keine Lust mehr darauf hätte oder weil es nun umgekehrt Zeit würde, Rentner zur Demut aufzufordern. Sondern weil es nicht mehr reicht, die Umlagefinanzierung mit moralisch aufgeladenen Vokabeln zu beschreiben.

Wer jetzt die solidarische Umlagefinanzierung – Jung für Alt, Gesund für Krank, Single für Familie – verteidigen will, muss ihre Vorteile erklären können. Das Publikum, dem die Politiker verantwortlich sind, ist dabei nicht weniger solidarisch, aber skeptischer geworden. Das heißt übrigens nicht, dass es auch gut informiert wäre.

Auch Rentner müssen für den Erhalt der Sozialversicherung zahlen: Weil alle dafür zahlen sollten

Ein Beispiel: Es gibt entgegen weit verbreiteten Gerüchten keinen Anlass, als gut verdienende 30-Jährige zu glauben, es sei Klüger, eine private Krankenversicherung abzuschließen, als in der gesetzlichen Kasse zu bleiben. Familien werden in der gesetzlichen Kasse mitversichert, in der privaten nicht. Dort steigen die Beiträge im Alter in schwindelnde Höhen, und ein Zurück zur Gesetzlichen gibt es dann nicht mehr. Weder individuell noch volkswirtschaftlich gesehen ist ein privates Gesundheitssystem billiger als ein öffentliches – siehe USA.

Die Finanzkrise der Sicherungssysteme ist auch eine Legitimationskrise, das stimmt. Es ist richtig, die Debatte zu führen, welche Sozialleistungen noch sinnvoll und finanzierbar sind und welche nicht. Es ist gut, wenn daran alle Parteien, die Gewerkschaften, alle gesellschaftlichen Thinktanks teilnehmen – doch man braucht nicht so zu tun, als sei es die jüngere Generation, die nicht mehr einsieht, wofür sie bezahlen soll. Hier wird der Generationendiskurs dazu missbraucht, die Sozialsysteme zu demontieren – nicht nach dem Willen der lohnarbeitenden Bevölkerung, sondern nach dem Willen der Arbeitgeber, die vom Staat niedrige Lohnnebenkosten verlangen. Das steht im Zentrum der Reformdebatte – und kein Generationenkonflikt.

ULRIKE WINKELMANN