piwik no script img

Archiv-Artikel

Ein bisschen Leiche

Größer als der Tod der Liebenden ist die Liebe zum Tod: „Romeo und Julia“ im Hexenkessel-Hoftheater

Das Hexenkessel-Hoftheater in Mitte ist umgeben vom Monbijoupark, alten Gemäuern und der berühmt-berüchtigten Strandbar. Deren ausgelassenes Beach-Feeling geht nicht selten ins Freilufttheater über. Erste Schnapsleichen finden zu später Stunde noch ihren Platz und quatschen in die Aufführung rein: Ob die Beine der Sitznachbarin genauso glatt rasiert seien wie die von Julia und ob man mal „lookie-lookie“ machen dürfe. So ein Ambiente eignet sich hervorragend dazu, die größte Liebesgeschichte aller Zeiten auf ihre sexuelle Essenz zu bringen, aus triefender Tragik nüchterne Komik zu machen. Jan Zimmermanns Inszenierung erinnert daran, was im großen Trara um die einzig wahre Liebe oft vergessen wird: dass der gute Romeo vor allem deshalb auf Julia steht, weil sie die erste Frau ist, die auch auf ihn abfährt. Er wirkt etwas blass, ein bisschen Leiche steckt von Anfang an in ihm. Und jeder Moral zum Trotz bringt er nicht nur Tybalt, sondern auch seinen Nebenbuhler um.

Die gerade pubertierende Julia ist nicht weniger abgebrüht. Sie trägt Strapse und bezeichnet sich selbst als Romeos Dreistundenweib. Das Klavier ist ihr Machtrevier: Liebesnest und Sterbebett zugleich. Hier sagt sie der viktorianischen Zeit zweifach Farewell. Größer als der Tod der Liebenden ist ihre Liebe zum Tod, und das rutscht durchaus ins Nekrophile. Neben dem frisch getrauten Paar geht einladend die Grabtür auf. Pater Lorenzo entsteigt geradewegs der Hölle und schwingt seine weisen Reden mit der teuflischen Qualität eines Mephistopheles: „Keins der Erdenkinder ist so schlecht, dass es den andern nicht auch Gutes brächt.“

Auf ein amüsantes Niveau haben Jan Zimmermann und Katja Winkler in ihrer Fassung Shakespeares sprachliche Wirrungen gebracht: Die vulgäre Amme lässt sich von „impotinenten“ Männern nicht „komprominieren“. „Gut ausgedrückt“, lobt sie Romeos Eloquenz. Darauf Bencutio: „Sagte die Hand zum Pickel.“ Im Grunde führt das Ensemble vor, wie einfach das ganze Drama sein könnte. Man hört auf, wo es gerade am schönsten ist – „Aus Tod wird Exil und schon wieder Glück!“ –, denn die Strandbar hat ja noch auf. Wie zu Shakespeares Zeit kommentieren die Akteure das eigene Spiel und erwägen ein Happy End –aber nur auf dem Weg in die Pause, denn das Schöne ist ja nichts als des Schrecklichen Anfang …

MARION DICK

Noch bis 4. 9., Dienstag bis Samstag 21.30 Uhr