: Glücklicher Ungehorsam
Amerikas Konservative laufen Sturm gegen homosexuelle BürgerInnenrechte. Im Rathaus des Städtchens New Paltz riskiert Bürgermeister Jason West für ihre Durchsetzung gar Knast
VON PETER REHBERG
In jedem zweiten Schaufenster von New Paltz stehen die Worte John Lennons zu lesen: „Love is all you need“. Das ist programmatisch gemeint. Der 6.000-Seelen-Ort ist berühmt in den USA, gerade weil es dort um Liebesdinge geht. Mehr noch: um einen der härtesten Kulturkämpfe des Landes, jenen um die Homoehe. An diesem Platz, weit oberhalb Manhattans, können sich schwule oder lesbische Paare trauen lassen. Seit dem 27. Februar – dort war es gar eher möglich als im trubeligen New York City.
Warum gerade hier, in der Nähe von Woodstock, dem früheren Wallfahrtsort der Hippies, anderthalb Stunden den Hudson aufwärts? Auf alle Fälle ist New Paltz die einzige Gemeinde an der amerikanischen Ostküste, in der die Grünen die Mehrheit im Stadtrat und damit den Bürgermeister stellen. Und der heißt Jason West und ist verantwortlich dafür, dass New Paltz zum Ziel homosexueller Paare wurde. „Dieses Dorf wird von Marionettenspiel, Poesie und Kunst regiert“, sagen die Wähler Jason Wests nicht spöttisch, sondern stolz.
Das Büro des Bürgermeisters ist in einem ausgebauten Dachgeschoss untergebracht, im selben Gebäude wie Polizei und Feuerwehr. Es ist unmöglich, Jason West nicht sympathisch zu finden. Auf Fotos, die ihn im Anzug zeigen, sieht er aus wie ein Konfirmand, der zum ersten Mal in seinem Leben Krawatte trägt. Wenn er einen in seinem karierten Freizeithemd herzlich begrüßt, kann man ihn sich leicht als Spross der TV-Familie „Die Waltons“ vorstellen: bieder und gottesfürchtig in einem.
Jason West ist nahe der Hauptstadt Albany geboren und in New Paltz aufs College gegangen, wo er es später, im dritten Anlauf, zum Bürgermeister schaffte. Als Präsident Bush Ende Februar vorschlug, die Ehe per Verfassung exklusiv als eine Sache zwischen Mann und Frau zu definieren, ergriff West die Initiative zum zivilen Ungehorsam.
West rief ein befreundetes schwules Paar aus der Nachbarschaft an und fragte: Seid ihr bereit? Seitdem finden in New Paltz jedes Wochenende lesbische und schwule Trauungen statt. Mehr als 100 Paare wurden schon vermählt; 1.500 stehen auf der Warteliste. Viele Einwohner von New Paltz nehmen regelmäßig an den öffentlichen Zeremonien im Peace Park teil – schon aus Solidarität mit dem Bürgermeister. „Unsere Gemeinde ist über das, was hier geschieht, sehr glücklich“, sagt West.
„Historisch sind jetzt die Homos mit der Gleichstellung dran“
Aus Sicht des Staatsanwalts von New York hat sich der junge Bürgermeister mit den Homotrauungen strafbar gemacht. Heiratslizenzen werden in den USA von den Behörden der Bundesstaaten ausgestellt. Im Staat New York ist das Gesundheitsministerium zuständig, das West aber keine Genehmigung erteilte. Und der setzte sich, typisch amerikanisch, einfach darüber hinweg: „Weil es richtig ist, zu tun, was wir tun.“
Und zwar mit Blick auf die Verfassung des Bundesstaates New York: Die fordert nämlich, so West, dass kein Bürger diskriminiert werden darf. Wolle er als Amtsträger nicht mit dem Antidiskriminierungsgesetz in Konflikt geraten, bleibe ihm nichts anderes übrig, als die Trauung von Homosexuellen zu erlauben. „Ich habe meinen Eid abgelegt und dafür verantwortlich, dass alle New Yorker vom Gesetz auf gleiche Weise geschützt werden.“ Vielmehr ist die Verweigerung der Homoehe ungesetzlich, denn der Gesetzestext sei in Bezug auf das Geschlecht der Ehepartner neutral.
Jason West ist selbst nicht schwul. Ebenso wie der zehn Jahre ältere Gavin Newsom, Bürgermeister San Franciscos, der dort homosexuelle Paare ohne behördliche Genehmigung traute, ist er repräsentativ für eine neue Generation von Amerikanern, die ungebrochen an die demokratischen Ideale von Toleranz und Gleichheit glauben. Für Heterosexuelle wurde die Homoehe jetzt zum Symbol eines anderen Amerikas. „Bis in die späten Sechziger waren in den USA Ehen zwischen Schwarzen und Weißen in vielen US-Staaten gesetzlich verboten“, sagt West, historisch seien jetzt die Homos mit der Gleichstellung dran.
Die Trennungslinie zwischen Ablehnung und Akzeptanz lesbischer und schwuler Lebensformen verläuft in der amerikanischen Gesellschaft nicht nach Parteigrenzen, sondern Altersgruppen. Die Mehrheit der Amerikaner unter 30, gut die Hälfte der US-Bevölkerung, ist für die Homoehe. Jason West verkörpert jene Sorte von Politikern, die ihre Studienabschlüsse in Zeiten erlangten, als Queer Studies längst zum Lehrplan jedes anständigen Colleges in den USA gehörten. Das Thema Homosexualität wirft für ihn keine Fragen mehr auf: „It’s a fact.“ Die rechtliche Situation der sozialen Realität anzupassen, nur darum könne es gehen.
Mit den Homos in Manhattans Szenestadtteil Chelsea hat Jason West wenig zu tun. Nachhilfestunden in Sachen schwuler Kultur kriegt er vor allem aus dem Fernsehen. „Gay culture ist doch total angesagt“, sagt er und lacht. „Shows wie ‚Ellen‘ mit der populären Ellen Degeneres haben zur Normalisierung beigetragen.“ Kommt andererseits in den Szenetreffpunkten New York Citys die Sprache auf den Bürgermeister aus New Paltz, fällt stets ein Wort: cute – niedlich!
Präsident George W. Bush, dessen Töchter auf ihren Streifzügen durch Manhattan am liebsten von schwulen Jungs begleitet werden, wie die Boulevardpresse Manhattans überliefert, reagierte gereizt: „Nach mehr als zwei Jahrhunderten amerikanischer Rechtssprechung und Jahrtausenden menschlicher Erfahrung haben ein paar Richter und Lokalpolitiker vor, die grundlegendste Institution der Zivilisation zu ändern.“ Und: „Unsere Nation braucht eine Verfassungsänderung, um die Ehe zu schützen.“ So ähnlich argumentierten Politiker in den Sechzigern auch gegen den Kampf von Afroamerikanern um Anerkennung und rechtliche Gleichstellung: mit Ressentiments und der Stimme des so genannten Volkes.
Was die Ehe bedeutet und auf welche Weise die Homoehe diese Bedeutung (nicht nur in den USA) vielleicht verändert, ist ein Hauptstreitpunkt der Debatte. Von seinem Bürgermeisterzimmer aus ist West die Sache klar: „Tatsächlich ist es Bush, der den Charakter der Ehe verändern will. Weil die fundamentalchristliche Rechte begann, die Ehe als eine Vereinigung zwischen Mann und Frau umzudefinieren.“
Ehe? Nichts Heterosexuelles, nur ein Institut für Liebende
Jason West ist kein Eiferer, nur einer, der an Gerechtigkeit glaubt: Früher war das kulturelle Verständnis nicht so ausschließend, wie es Konservative heute gerne hätten: „Man hätte vielleicht gehört: Zwei Leute, die sich lieben, die zusammenbleiben und füreinander da sein wollen. Einerseits ist es viel tief gehender, als einfach von einem Mann und einer Frau zu sprechen. Aber auch offener.“ Sein als Liebesheirat definierter Ehebegriff verschiebt die menschliche Perspektive deutlich: „Die Ehe so kaltherzige und strikt zu definieren, ja, auf die Idee der Fortpflanzung einzugrenzen, wie es Bush tut, ist falsch.“
Weit davon entfernt, ein romantischer Idealist zu sein, ist West offensichtlich besorgt: „Für Millionen von Amerikanern geht es mit der Homoehe buchstäblich um Leben und Tod. Ihnen zu sagen, ihr seid weniger wert als andere, ist ein Verbrechen.“ Deshalb muss das Thema einen festen Platz in der Politik haben – und nicht als unwichtig abgetan werden: „Ja, es gibt Krieg im Irak und wir hätten uns niemals darauf einlassen sollen. Ja, wir haben die höchste Arbeitslosenquote seit den Zwanzigern. Diese Dinge sind wichtig. Aber Rechte der Lesben und Schwulen sind doch deshalb nicht unwichtig.“ Und ihre Wertigkeit, das wissen Konservative ebenso gut wie Liberale, hängt eben symbolisch an der Homoehe.
Inzwischen dürfen im Bundesstaat Massachusetts offiziell Heiratsgenehmigungen ausgestellt werden, wie der Oberste Gerichtshof dort entschieden hatte. Wann zieht der Rest des Landes nach? West zeigt sich geduldig. „Eine Frage der Zeit. Im schlimmsten Fall dauert es, bis die Generation der unter Dreißigjährigen in gesellschaftliche Machtpositionen vorgedrungen ist. Also sagen wir in zwanzig Jahren. Im besten Fall setzt sich das Modell von Massachusetts durch, und wir haben auch im Bundesstaat New York im nächsten Jahr die Homoehe, ganz legal und fraglos.“
Ohne dass einem 27-jährigen heterosexuellen Bürgermeister mit Haft gedroht wird. Und dann lächelt Jason West wieder dieses offene Lächeln, das Streitern für eine gute Sache eigen scheint. Hübsch, das. Und sehr, sehr cute.