eu-parlament : Mehr Europa braucht die Wahl
Zu Recht fürchten Politiker nichts so sehr wie eine niedrige Wahlbeteiligung. Es sind die Kreuze auf dem Wahlzettel, die ihnen das Mandat für ihre Arbeit geben. Wenn jeder Zweite in der alten und drei Viertel der Menschen in der neuen EU die Wahl ignorieren, dann sinkt die politische Legitimität des Parlaments.
KOMMENTARVON DANIELA WEINGÄRTNER
Die Folgen sind drastisch. In diesen Tagen entscheiden die Staats- und Regierungschefs über eine neue Verfassung für Europa. Der Bereich, in dem das EU-Parlament Mitentscheidungsrechte bekommt, gehört zu den strittigen Punkten. Warum sollten sich die Chefs mehr als bisher in die Karten schauen lassen – von einem Club, der zwischen Straßburg, Brüssel und den Wahlkreisen aus dem Blickfeld der Wähler geraten ist?
Doch die Parlamentarier sind nicht nur Opfer von Neidkampagnen, EU-Verdrossenheit und Wählerphlegma. Sie haben – von den Grünen abgesehen – selbst auf nationale Themen gesetzt und Denkzettel-Kampagnen geführt. Wer seiner Regierung mal ordentlich die Meinung sagen wollte, ging wählen. Die anderen fühlten sich nicht angesprochen und blieben zu Hause.
Ein großer Teil der Sitze im EU-Parlament muss künftig über europäische Listen verteilt werden. Nur so kommen im Wahlkampf endlich europäische Themen auf die Tagesordnung. Die Wähler in Schweden oder Griechenland interessiert nicht, ob Gerhard Schröder eine Ohrfeige verdient hat oder ob er gemeinsam mit Chirac Stoiber nach Brüssel wegloben möchte. Der Streit über die Chemierichtlinie, die stockende Konjunktur oder die hohe Arbeitslosigkeit hingegen geht die Wähler überall an.
Doch das allein wird nicht reichen. Das Demokratiedefizit in Europa verlangt nach einer drastischeren Kur. Wahlpflicht wäre nur Kosmetik, mehr Legitimation bräuchte sie nicht. Wenn sich aber künftig die Zahl der Sitze nach der Zahl der abgegebenen Stimmen bemessen würde, könnte sich das Blatt wenden. Politiker und Wähler hätten dann gleichermaßen ein Interesse an hoher Wahlbeteiligung. 25 Prozent abgegebene Stimmen hieße 25 Prozent der ursprünglich ausgehandelten Parlamentssitze. Polen könnte also dieses Mal statt 54 nur 14 Abgeordnete nach Straßburg schicken. In Ländern mit weniger als 25 Prozent Wahlbeteiligung sollten die Bürger in einem Referendum darüber abstimmen, ob sie die Union nicht lieber verlassen wollen. Damit niemand mehr behaupten kann, er hätte in Europa ja doch nicht mitzureden.