: Welt aktiv mitkomponieren
Er versteht sich eher als Künstler denn als Kurator, verabscheut Kataloge, die keiner liest, und möchte sein Publikum zur Eigenverantwortung bewegen: Der designierte documenta-Chef Roger M. Buergel, der zuletzt die Lüneburger Schau „Die Regierung“ kuratierte, über politische Kunst und Tradition
von Hajo Schiff
Er lässt wenig verlauten über konkrete Auswahlkriterien, skizziert gern wie beiläufig verschiedenste Varianten und verliert sich gelegentlich im – vom Publikum nur teils goutierten – Versuch, das dialogische Prinzip ironisch gebrochen vorzuführen – zur Not auch ohne den Beistand seiner Lebensgefährtin und Co-Kuratorin Ruth Noack, wie jüngst im Hamburger Kunstverein geschehen. Roger M. Buergel (41), designierter Leiter der documenta 12, scheint sich eher als Künstler denn als Kurator zu verstehen. Doch festzulegen ist er schwer. Ein Versuch.
taz: In Veröffentlichungen erscheinen Sie mal als Theoretiker, mal wurden Sie ausschließlich zum Thema Schönheit befragt. Inwieweit ist für Sie Kunst ein visueller Beleg für kulturelle und soziale Phänomene – und wieweit ein autonomer Bereich? Wird die documenta 12 eine Kunst- oder eine Kultur-Ausstellung?
Roger M. Buergel: Ich interessiere mich ausschließlich für Kunst. Ich habe sogar ein Interesse daran, Kunst von Kultur fern zu halten. Wobei man natürlich anfangen müsste zu differenzieren: Es gibt ja Filme, mit denen man durchaus etwas anfangen kann. Aber das haben Sie bei der Lüneburger Ausstellung „Die Regierung, Teil III.“ ja gesehen: Die war zwar klein, aber trotzdem eine dezidierte high-art-Ausstellung, hat also nicht den Versuch gemacht, sich anzubiedern beim Publikum. Ich habe wirklich Interesse an Kunst. Deshalb fasziniert mich auch die erste documenta, von der man noch nicht wusste, dass sie die erste in einer Reihe sein würde. Das fand ich gut, in Deutschland in dieser Brache ausschließlich Kunst zu zeigen und keine Kompromisse zu machen in punkto Vermittlung.
Ihre beiden VorgängerInnen haben sich auf die documenta 5 bezogen, eine Ausstellung die durch Hereinnahme vieler bis dahin außerkünstlerischer Bereiche wie Werbung und Design die ganze Welt abbilden wollte ...
Es hat 1972 etwas anderes bedeutet, außerkünstlerische Produktion dazuzunehmen, das hatte damals was Progressives. Aber ich glaube nicht, dass es heute sinnvoll wäre, Autos oder Schallplatten zu bieten.
Im Lüneburger Projekt „Die Regierung“ haben Sie Ambrogio Lorenzetti gleichwertig auf die Liste sonst junger Künstler gesetzt. Heißt das, dass aktuelle Kunst nicht notwendig zeitgenössisch ist? Wird man vielleicht einen Rubens auf der documenta finden?
Durchaus. Das hat damit zu tun, dass sich viele heutige Künstler ihrer kunsthistorischen Bezüge sehr bewusst sind. Ein Beispiel ist Andreas Siekmann, dessen über 200 Zeichnungen auf der letzten documenta von der Privatisierung des öffentlichen Stadtraums handelten. Die Zeichnungen haben eine Farbigkeit, die auf Legers ästhetisches Engagement verweist, außerdem die Rasterstruktur von Mondrians Boogie-Woogie-Bildern. Da ist es doch sinnvoll, Mondrian und Leger dazu zu hängen. Weil man dann, ohne dass man viel erklären muss, Zusammenhänge herstellt.
Aktuelle Kunst hat historische Bezüge. Steht sie aber notwendig im Kontext des Kunstbetriebes, oder werden Sie sich auch mit Kunst der so genannten Peripherie befassen?
Ich sehe mich nicht als Talent-Scout. Ich glaube auch nicht, dass es der Sinn der documenta ist, Genies zu entdecken. Was mich interessiert, sind aber zum Beispiel migratorische Identitäten, oder die Art, wie Städte in Regionen abstrahlen. Und wie sich das in den Werken widerspiegelt. Arshile Gorky wäre ein kunsthistorisches Beispiel – als Armenier, der in New York landet. Mich interessiert, wie Künstler in der Konfrontation mit einer Kultur ihre künstlerische Vorgehensweise modifiziert haben. Abgesehen davon gibt es natürlich lokale Zentren, in denen sich etwas abspielt: in Zagreb zum Beispiel oder in San Sebastian, in Dakar oder Beirut. Es sind meist Gruppen, die sich um einen Ort herum organisieren, und sie haben Interesse daran, mit der Welt zu kommunizieren. Das heißt nicht, dass sie nach London oder New York schauen, sondern sie suchen sich Partnerinstitutionen. Und die interessieren sich dann auch noch für ihre lokalen Traditionen. Das sind Zusammenhänge, die mich interessieren.
Sie haben gesagt, man müsse die Ausstellung als eigenes Medium begreifen. Wenn dem aber so ist: Wird der Kurator dann zu einem Meta-Künstler, der mehr zu sagen hat als die Künstler, die er auswählt?
Ich habe eine künstlerische Biographie und sehe keinen Grund, die zu verbergen. Trotzdem habe ich nicht das Gefühl, dass, wenn Ruth und ich Ausstellungen machen, ich da nur mich selbst ausdrücke. Vielmehr entstehen die Ausstellungen in intensiven Auseinandersetzungen mit den Künstlerinnen und Künstlern. Und unter der Oberfläche der Ausstellungen schwelen ja durchaus auch Machtkämpfe. Dies muss die Struktur der Ausstellung kenntlich machen: dass sie kohärent ist, aber auch spielerisch. Das alles entsteht nur, wenn viele Leute es eigenverantwortlich mittragen. Ob sich dieses Modell auf Kassel übertragen lässt, weiß ich nicht. Eine Ausstellung ist immer nur ein Versuch, weil sie ja wieder verschwindet. Und diese Praxis ist sehr fragil. Anders als ein Film oder ein Buch ist die Ausstellung später einfach weg. Wir waren da bisher auch immer relativ radikal, haben uns gewehrt, Kataloge zu machen, weil das nicht das Medium ist. Das Medium ist die Ausstellung.
Aber weil das alles so fragil ist, entsteht der Wunsch, es zu fassen, in einem Buch.
Bei den Katalogen, die kein Mensch liest, tut es mir immer Leid ums Geld.
Ist Kunst Ihrer Meinung nach eigentlich politisch?
Das hängt davon ab, wie man politisch definiert: ob es reicht, von einem Kunstwerk mit bloßem politischem Gestus abgespeist zu werden. Von einer Ausstellung, die ich politisch nenne, erwarte ich, dass sie ihr Publikum bildet, das heißt herausholt aus einer Haltung, wie sie die Massenmedien einem abfordern – dass man sehr gut informiert ist, aber handlungsunfähig. Eine politische Ausstellung, wie ich sie verstehe, soll den Besuchern das Gefühl geben, über die Ausstellung Teil der kompositorischen Aktivität des Weltmachens zu sein: also für die Welt, in der wir leben, aktiv Verantwortung zu übernehmen. Zu wissen, dass man Gestaltungsraum hat und ihn auch in Anspruch zu nehmen.