Wo sind sie geblieben?

Kleine Splitterparteien wie die Grauen räumten bei der Europawahl richtig ab. Sie profitierten von enttäuschten CDU-Wählern. In manchen Bezirken lag die Wahlbeteiligung bei nicht mal 14 Prozent

VON FELIX LEE

Wo sind sie bloß geblieben?, fragt sich in diesen Tagen so mancher SPD-Politiker und meint damit die vielen Wähler, die bei den Europawahlen den Sozialdemokraten den Rücken gekehrt haben. Bei den Splitterparteien sind sie zumindest nicht gelandet, versichert der stellvertretende Landeswahlleiter, Horst Schmollinger. Diese hätten nicht so sehr die Protestwähler der SPD aufgesogen – sondern die der CDU.

12 Prozent der Berliner, die zur Wahlurne gegangen sind, gaben ihre Stimmen den kleinen Parteien. Also denen, die auf Schautafeln häufig unter „Sonstige“ subsumiert sind. In einigen Stadtgebieten betrug ihr Anteil mehr als 20 Prozent. Es gebe einen engen Zusammenhang zwischen den CDU-Verlusten und den Gewinnen der kleinen Parteien, erklärt Schmollinger.

Die Wähler dieser Protestparteien waren auch nicht so sehr in armen Bezirken wie Wedding, Neukölln oder Marzahn zu finden, sondern vor allem in gut situierten wie Reinickendorf, Spandau und Treptow-Köpenick. Neben der Familien-Partei und der Tierschutzpartei haben vor allem die Grauen der CDU viele Stimmen abgeluchst.

Die Grauen um den Jungpolitiker Norbert Raeder (35) vervierfachten ihr Ergebnis von 1999 und errangen fast 4 Prozent, in einigen Kiezen bis zu 16 Prozent. Ein Grund für das gute Abschneiden der Grauen sei das Protestpotenzial, sagt Schmollinger. Ein Teil habe die Grünen gewählt, ein weitaus größerer sieht sich aber als sozialkonservativ und hat mit linken Parteien nichts am Hut. Der habe für die Grauen gestimmt.

Rückschlüsse auf künftige Bundestags- oder Abgeordnetenhauswahlen möchte Schmollinger aber nicht ziehen. Bei den Europawahlen seien die Wähler einfach experimentierfreudiger und würden weniger nach „innenpolitisch-strategischen Gesichtspunkten entscheiden“, meint er.

Erstaunlich hoch war bei diesen Wahlen auch die Zahl der ungültigen Stimmen. Sie betrug 2,2 Prozent und hatte sich im Vergleich zu 1999 fast verdoppelt. Neben Neukölln (2,91 Prozent) war Marzahn-Hellersdorf der Bezirk mit dem höchsten Anteil ungültiger Stimmen. 2,89 Prozent der Voten konnten dort nicht gewertet werden. Erfahrungsgemäß ist rund die Hälfte der Wahlzettel aus Versehen falsch ausgefüllt. Bei einem so hohen Anteil ungültiger Wahlzettel ist aber anzunehmen, dass die Stimmzettel aus Protest ungültig gemacht wurden.

2 Prozent ungültige Stimmen, das erklärt noch nicht, wo die verlorenen SPD-Stimmen gelandet sind. Bei den Nichtwählern, sagt Schmollinger. 1,4 Millionen, die die Wahlen ignoriert haben, das sind 61,4 Prozent aller Wahlberechtigten – auch hier liegt Marzahn-Hellersdorf mit 86,1 Prozent Nichtbeteiligung an der Spitze. Dieser hohe Anteil führte dazu, dass die NPD in einigen Wahlbezirken zweistellige Ergebnisse einfahren konnte – mit ganzen fünf Wählern.