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Archiv-Artikel

Kahlschlag unter dem Kreuz

Viele Bischöfe haben McKinsey durch ihre Verwaltungen geschickt

VON BERNHARD PÖTTER

Das Angebot war nicht zu übersehen. Gleich auf der ersten Seite seiner Homepage pries das Bistum Aachen nicht nur den Herrn, sondern auch eines seiner Häuser an: Ein großes Foto der Kirche St. Martin warb um Käufer für die Immobilie: Mit „515 Quadratmeter Nutzfläche im Hauptschiff (inklusive Tageskapelle und Sakristei), Seitenschiff und Chor“ wartete die Kirche „in massiver Bauweise, Turm seitlich“, auf einen neuen Besitzer.

Aachen hat nicht zu viele Kirchen. Aachen hat zu wenig Geld. Wie in allen deutschen Bistümern (und wie bei fast allen evangelischen Landeskirchen) sinken in Aachen seit Jahren die Einnahmen der Kirchen. Viele Bischöfe haben inzwischen die Unternehmensberater von McKinsey durch ihre Verwaltungen geschickt und sich Sanierungshaushalte aufstellen lassen. Und die sehen aus wie bei maroden Unternehmen oder klammen öffentlichen Händen: Sie streichen Stellen, entlassen Mitarbeiter, schließen Einrichtungen, reduzieren Angebote und verkaufen Eigentum wie etwa Immobilien.

Der finanzielle Druck bewirkt bei den Kirchen, was ideologische Anfeindungen, staatliche Repression oder interne Reformen in den letzten Jahrhunderten nicht erreicht haben: Die Kirche zieht sich aus vielen gesellschaftlichen Aufgaben zurück; die Gemeinden schrumpfen – und das Rollenverhältnis zwischen Klerus und Laien wird neu gewichtet. Schon in wenigen Jahren wird sich die Rolle der katholische Kirche in Deutschland dramatisch ändern. „Die Kirchen konzentrieren sich auf ihre Kernkompetenz von Gottesdienst und Schule“, sagt der Frankfurter Jesuit und Sozialethiker Friedhelm Hengsbach. „Gespart wird ausgerechnet da, wo die Kirchen eine starke gesellschaftliche Akzeptanz haben.“

Der Kahlschlag unter dem Kreuz findet vor allem in den Diözesen statt:

– Vor einem Jahr, kurz nach dem bejubelten Ökumenischen Kirchentag in der Stadt, leistete der Berliner Kardinal Georg Sterzinsky den Offenbarungseid: Das Erzbistum Berlin war so überschuldet, dass keine Bank mehr Kredite gewähren wollte. Zähneknirschend mussten die anderen Bistümer den Berlinern einen Kredit von 50 Millionen Euro in drei Tranchen gewähren. Das Bistum selbst baut allein in diesem Jahr von 1.050 Stellen mindestens 440 ab.

– In Aachen klafft jedes Jahr in einem Haushalt von 400 Millionen ein Loch von 60 Millionen. Allein in diesem Jahr werden von etwa 1.000 Stellen mindestens 150 abgebaut. Die Einnahmen aus der Kirchensteuer werden bis 2008 um 25 Prozent zurückgehen.

– In Hildesheim soll ein drastischer Sparkurs das Bistum vor dem Pleitegeier retten. Weil die Einnahmen von derzeit 100 Millionen bis 2020 auf nur noch 70 Millionen zurückgehen, wird von den 1.500 Stellen jede dritte gestrichen. Bildungsstätten und Hochschulen werden geschlossen. In den nächsten Jahren wird niemand für die Arbeit in den Gemeinden eingestellt.

– Das Bistum Essen hat bereits 1997 eine Rosskur hinter sich: Damals baute die Verwaltung schon 370 Stellen ab. Nun steht die nächste Sparrunde an: Der Haushalt von 220 Millionen muss bis 2008 noch einmal um 20 Prozent schrumpfen.

Überall regiert der Sensenmann. Bistum Limburg: „120 Stellen weniger“. Bistum Eichstätt: „minus 120 plus x“. Bistum Würzburg: „überall 10 Prozent einsparen“. Das kleine Bistum Erfurt streicht nicht Stellen, sondern Stunden im Umfang von 10 Stellen – von 66 Stellen in der Verwaltung. „Rechnet man das auf die 27 katholischen Bistümer Deutschlands hoch, fallen da in den nächsten Jahren mehrere tausend Stellen weg“, sagt Erich Sczepanski, der lange Jahre in der Mitarbeitervertretung des Bistums München Einblicke in die Personalsituation hatte.

Die Kirchen sitzen gleich mehrfach in der Klemme. Einerseits kürzen die Kommunen ihre Zahlungen, andererseits verlieren die Kirchen selbst jedes Jahr etwa 1 Prozent ihrer 26,5 Millionen Mitglieder – und mit denen erodiert die wirtschaftliche Basis. Dann schlägt die hohe Arbeitslosigkeit auf die Kirchensteuern durch, weil diese an die Einkommensteuern gekoppelt sind. Und schließlich ist deswegen jede Steuersenkung wie bei der aktuellen Steuerreform ein Schlag ins Kontor der Kirchen: Sie rechnen mit Mindereinnahmen allein für 2004 von etwa 8 Prozent. „Alle Bistümer sind strukturell in der gleichen Lage“, sagt Helmut Müller, Finanzdirektor in Hildesheim. Deshalb werde der drastische Plan aus seinem Haus in den anderen Diözesen auch als Diskussionsgrundlage für die Zukunftsplanung benutzt.

Schwarz sieht auch Hans Wendtner vom „Verband der Deutschen Diözesen“ (VDD). Sein Verband sammelt von den Bistümern Geld für übergeordnete Aufgaben – doch in Zeiten leerer Kassen werden die Kollekten kleiner. Von den 150 Millionen, die der VDD in diesem Jahr an Missionswerke, katholische Medien, Auslandsseelsorge oder in Forschungsinstitite auszahlt, sollen bis 2008 insgesamt 15 Prozent abgeschmolzen werden. „Vor zehn Jahren lag unser Etat noch bei 250 Millionen“, sagt Wendtner. Jedes Jahr rechnet er mit einem Rückgang der Einnahmen um 1 Prozent – ein Desaster für eine Institution, die wie die Kirche in Jahrhunderten denkt. „Für manche der Verbände und Projekte, die von uns Geld bekommen haben, stellt sich die Existenzfrage“, so Wendtner.

Vor allem den sozialen Diensten, die nicht wie Kindergärten, Altenheime oder Schulen vom Staat zumindest mitgetragen werden, droht das Aus: Schuldnerberatungen, Aids-Hilfe, Obdachlosenasyl, solche Dienste finanzieren bisher die Bistümer oder der Caritas-Verband. Der ist zwar mit knapp 500.000 Mitgliedern nominell einer der größten Sozialkonzerne Deutschlands, intern aber so zersplittert, dass genaue Auswirkungen der Sparpolitik nicht mal vom Generalsekretär des Deutschen Caritasverbands zu erhalten sind. Hunderte von Stellen sind aber auch bei der Caritas gefährdet, weil vor allem auch manche Länder und Kommunen wie in Hessen ihre Finanzprobleme an die Träger der Sozialeinrichtungen weitergeben. Das bundesweite Kolping-Bildungswerk mit 3.000 Stellen steht wegen fehlender öffentlicher Aufträge vor dem Aus. Und auch die Katholische Nachrichtenagentur (KNA) wird von der Sparwut nicht ausgenommen. Der VDD fuhr den Zuschuss für die KNA seit den Neunzigerjahren zweimal um jeweils 15 Prozent herunter. Von den etwa 100 Stellen stehen inzwischen mehr als 20 Prozent auf der Streichliste.

Die Sparwut trifft keinen Armen. Denn laut einem Buch des Hamburger Politologen Christian Frerk über „Finanzen und Vermögen der Kirchen in Deutschland“ verfügen evangelische und katholische Kirche in Deutschland über insgesamt fast 500 Milliarden Euro Vermögen. 150 Milliarden Grundbesitz und 85 Milliarden Geldvermögen sind nach Frerks Recherche sofort zu Geld zu machen. Das Problem: Der Besitz der Kirchen verteilt sich sehr ungleich auf verschiedene Bistümer und Rechtsträger und ist manchmal nicht viel mehr als ein Buchwert. Immobilien sind etwa dann gut zu Geld zu machen, wenn sie zu Pfarrhäusern in Innenstädten gehören – aber riesige Kirchen oder Kapellen auf dem Land will niemand haben.

Ein guter Teil der Misere ist allerdings auch hausgemacht. Der Korruptionsskandal um die „Caritas Trägergesellschaft Trier“ (CTT) trieb die Caritas Trier fast in den Ruin. Oft drückten die verantwortlichen Bischöfe beide Augen zu, wenn es um frühzeitige Sparentscheidungen ging. Berlins Kardinal Sterzinsky übernahm für die Pleite seines Bistums persönliche Verantwortung, trat aber nicht wie von vielen erwartet zurück. Und Jobst Rüthers, Sprecher des Bistums Aachen, moniert, es gebe in diesem Zusammenhang eine fatale „kirchliche Kultur von zu viel Konsens und Harmonie“.

Davon kann zumindest bei vielen Mitarbeitern nicht die Rede sein. Sie beklagen sich bitter, dass sie für die Kurzsichtigkeit der Oberhirten nun büßen müssen. Auch verhalte sich die Kirche in der Krise genau wie ein Unternehmen. Dem aber widerspreche die katholische soziallehre, die den Vorrang des Faktors Arbeit vor dem Faktor Kapital fordert. „Gerecht wäre es, wenn die Kirchen die Bereiche soziale Arbeit, Gottesdienst und Mission gleichberechtigt behandelten“, sagte Friedhelm Hengsbach. Bislang gingen die Kürzungen aber zulasten der sozialen Aufgaben. „Die Abhängigkeit von den Staatsfinanzen macht uns arm wie den Staat.“

Wohin wird sich die katholische Kirche der nächsten Jahre entwickeln? Manche befürchten, der Klerus werde wieder an Macht gewinnen, weil überall gespart werde, nicht aber bei den ohnehin wenigen Pfarrern. Andere wie der Wiener Theologe Paul Zulehner setzen auf „Leutepriester“, die als Laien die Gemeinden führen. Kleinere Gemeinden brauchen weniger Kirchen – schon jetzt rollt eine Fusionswelle durch die Bistümer, die in manchen Gegenden nur noch jede zweite Kirchengemeinde übrig lassen wird. „Die fetten Jahre sind eben vorbei“, schreibt Norbert Feldhoff, ehemaliger Generalvikar des Bistums Köln und Spezialist für die wirtschaftliche Lage der Kirchen, in der Zeitschrift Stimmen der Zeit. Die katholischen Verbände und Gemeinden müssten sich darauf einstellen, sich in Zukunft nur noch über Spenden und Beiträge zu finanzieren, was sicherlich zu „innerkirchlicher Konkurrenz um Spender und Wohltäter“ führen werde. Eine ärmere Kirche ist für Feldhoff keineswegs eine bessere Kirche: „Ich bin sehr skeptisch, ob die Gleichung aufgeht: Weniger Geld bedeutet mehr Glaube, Hoffnung und Liebe. Die Erfahrung lehrt, dass gerade aus dem materiellen Mangel die Fixierung auf das Materielle erwachsen kann.“ Feldhoff mahnt zu schnellen Maßnahmen, weil „der vielleicht gefährlichste kirchliche Irrweg ist, einfach abzuwarten“ und solche Untätigkeit dann auch noch „mit dem scheinbar frommen Gedanken ‚Gottvertrauen‘ zu schmücken“.

Feldhoffs eigenes Bistum strapaziert allerdings dieses Gottvertrauen gerade gewaltig. Für das nächste Jahr plant Köln den „Weltjugendtag“, zu dem 400.000 Jugendlichen in die Domstadt kommen sollen. Bisheriger Etatentwurf: „unter 100 Millionen“, das Geld soll durch Beiträge und Spenden gedeckt werden. Der Blick in die Vergangenheit allerdings zeigt: Die beiden letzten Weltjugendtage in Toronto und Paris endeten mit einem finanziellen Desaster: Die lokalen Bistümer bleiben jeweils auf umgerechnet 23 Millionen (Toronto) und 15 Millionen (Paris) Euro sitzen.