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Archiv-Artikel

Freiheit ohne Statue

Der New Yorker Investor Larry Silverstein wird Daniel Libeskinds Freedom Tower für Ground Zero nicht bauen. Kippt nun auch der Memorial-Entwurf?

von TOBIAS RAPP

Wann immer Daniel Libeskind in den vergangenen Monaten vor die Öffentlichkeit trat, versäumte er es nie, darauf hinzuweisen, dass die Kunst der Architektur vor allem die Kunst des Kompromisses sei. Am vergangenen Mittwoch willigte er nun ein, die Federführung für den Bau des Herzstücks seines Ground-Zero-Entwurfs, des rund 430 Meter hohen Freedom Tower, seinem schärfsten Konkurrenten David Childs zu überlassen. Es könnte ein Kompromiss zu viel gewesen sein. Libeskind wird zwar als Mitglied von Childs’ Team weiter an der Entwicklung des Hochhauses mitarbeiten und hat ein Recht darauf, in der „Konzeptions- und Designphase“ des Projekts konsultiert zu werden, wie es hieß. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Neubebauung von Ground Zero dem Entwurf ähnelt, mit dem Libeskind im Februar den Wettbewerb gewann, dürfte durch diese Entscheidung allerdings um einiges geringer geworden sein.

Libeskinds Niederlage beendet einen Streit, der seit Monaten tobte und der nur an der Oberfläche um die Frage ging, ob der Freedom Tower, jenes Hochhaus, das in seinen Umrissen aus der Ferne der Freiheitsstatue ähneln soll, nun an der Nordwest-Ecke von Ground Zero errichtet werden soll, wie es Libeskinds Entwurf vorsieht, oder im Zentrum des Geländes, wie es der Immobilienmogul Larry Silverstein fordert, der Pächter des Grundstücks ist. Es war ein Streit, in dem es vor allem darum ging, wer die Definitionsmacht über dieses gigantische Loch hat, das in Downtown Manhattan klafft und darauf wartet, als öffentlicher Raum strukturiert zu werden: Die Investoren oder die New Yorker. Libeskind betonte immer wieder, dass er sich vor allem den New Yorkern verpflichtet sehe und seinen Entwurf als Ergebnis eines kollektiven Imaginationsprozesses begreife. Silverstein machte nie ein Geheimnis daraus, dass er diesen Entwurf nur als „Skizze“ verstehe und dass es ihm vor allem um die kommerzielle Nutzung des Geländes gehe.

Es ist eine Entscheidung von einer gewissen Tragik. Nachdem Libeskind in den frühen Neunzigern mit seinem grandiosen städteplanerischen Entwurf für die Bebauung des Berliner Alexanderplatzes an den ästhetischen Vorstellungen der Berliner Baubürokratie scheiterte, droht ihm in New York nun ein ähnliches Schicksal, dieses Mal allerdings durch Marketingkonzepte der Immobiliendevelopper.

Denn dass Silverstein sich mit seinen Vorstellungen durchsetzen konnte, liegt vor allem am Geld. Die Stadt und der Staat New York stecken in einer tiefen finanziellen Krise. So sehr der New Yorker Gouverneur George Pataki dafür verantwortlich ist, dass Daniel Libeskind den Wettbewerb gewann, so wenig scheint er nun in der Lage gewesen zu sein, durch entsprechende finanzielle Zusagen auch die Umsetzung zu garantieren. Das Geld zum Wiederaufbau von Ground Zero liegt bei Larry Silverstein, dem vor allem die Versicherungssumme für die zerstörten Türme des World Trade Centers zur Verfügung stehen wird.

Silverstein hatte dem Wettbewerb um die Bebauung von Ground Zero von Anfang an skeptisch gegenübergestanden. Dass er nun David Childs mit der Ausführung betraut hat, zeigt, wie er sich die Gebäude vorstellt. Childs hatte als Teil des Architekturbüros Skidmore, Owings & Merrill im vergangenen Winter ebenfalls eine Entwurf eingereicht, der fast ausschließlich aus Bürotürmen besteht. Aus Rücksicht auf potenzielle Mieter, so hat Silverstein bereits angekündigt, würde er es lieber sehen, dass der Freedom Tower direkt über dem neuen Bahnhof im Zentrum von Ground Zero errichtet werden soll.

Sollten sich Silverstein und Childs mit der Idee tatsächlich durchsetzen, dürfte von Libeskinds Entwurf wenig übrig bleiben. Dann würde es auch kaum noch Sinn machen, das zweite Kernelement des Originalplans beizubehalten, die so genannte Badewanne, das Zurschaustellen der Spundwand, die das Wasser des Hudson River davon abhält, in das Fundament zu laufen und die das Einzige ist, was von den Türmen des World Trade Centers nach den Attentaten noch steht. Libeskind sah in dieser Wand das Fundament der amerikanischen Demokratie und wollte sie zum Herzstück der Gedenkstätte machen.

Tatsächlich ist Libeskind inzwischen aber auch mit seinen Plänen für das Memorial unter Druck geraten. Über 13.000 Entwürfe für eine Gedenkstätte sind in den vergangenen Monaten eingereicht worden, und nicht wenige Stimmen fordern, die Grube zuzuschütten und ein ebenerdiges Memorial auszuwählen. Das mache die Gegend für Fußgänger attraktiver und schließe die Edelplattenbausiedlung Battery Park, die im Augenblick vom Rest der Stadt abgeschnitten erscheint, an Manhattan an. Eine Entscheidung soll im Herbst fallen.

Wo und in welcher Form der Freedom Tower errichtet werden wird, dürfte bis Ende des Jahres klar werden. Zum dritten Jahrestag der Terroranschläge werden die Republikaner im September 2004 in New York ihre Convention abhalten und George W. Bush als Kandidaten für eine zweite Präsidentschaft nominieren. George Pataki ließ schon vor Wochen durchblicken, dass er erwarte, dann öffentlichkeitswirksam den Grundstein legen zu können.