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Archiv-Artikel

Orientierung verzweifelt gesucht

Frust und Verzweiflung bei der SPD: Landesparteichef Schartau setzt auf ein entschiedenes „Weiter so“. Doch die Landtagsfraktion vermisst die soziale Identität der Partei – und fürchtet die Wahlen

VON ANDREAS WYPUTTA

Die Katastrophe der Europawahlen lässt Nordrhein-Westfalens Sozialdemokraten orientierungslos zurück. Zwar setzt das Parteipräsidium weiter alle Hoffnungen auf einen mit der Agenda 2010 verbundenen Aufschwung durch Sozialabbau, zwar konnte sich der Vorsitzende der Landtagsfraktion, Edgar Moron, mit seiner Forderung nach personellen Konsequenzen nicht durchsetzen. In der SPD-Landtagsfraktion aber wächst die Verzweiflung – und die Angst, bei den anstehenden Kommunal- und Landtagswahlen ähnlich schlecht abzuschneiden wie bei der Europawahl, bei der die Partei mit landesweit 25,7 Prozent das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte hinnehmen musste. „Das Soziale ist uns abhanden gekommen“, klagt nicht nur Fraktionssprecher Hans-Peter Thelen.

Doch davon will die Parteispitze nichts wissen: Landesparteichef Harald Schartau dementierte gestern Berichte, führende Genossen diskutierten über Vor- und Nachteile eines möglichen Rücktritts von Kanzler Gerhard Schröder. Nordrhein-Westfalens SPD werde vielmehr Schröder „uneingeschränkt den Rücken stärken“. Auch habe das Parteipräsidium jeder „Personaldiskussion in der SPD eindeutig eine Absage erteilt“, so Schartau. Moron habe seine Forderung nach einer Kabinettsumbildung in Berlin nur angedeutet und sei auch vor der Fraktion kaum deutlicher geworden, sagt ein führender Genosse: „Eine solche Diskussion wäre zum jetzigen Zeitpunkt völlig wahnsinnig.“

Stattdesssen wollen sich die Sozialdemokraten mit einer so genannten „Oberhausener Erklärung“, die der Landesvorstand am Samstag verabschieden soll, verstärkt von der CDU abgrenzen: „Wir werden da grundsätzlich werden müssen“, so der stellvertretende Landesvorsitzende Karsten Rudolph zur taz. „Die CDU arbeitet doch an der kompletten Abschaffung des Sozialstaatsprinzips, etwa durch die Einführung von Kopfpauschalen im Gesundheitswesen.“ Das gelte auch für die großen Risiken Alter und Armut: „Wir müssen klarmachen, dass sich der CDU-Oppositionsführer bei diesen Fragen wegduckt“, fordert Rudolph: „Das soziale Gewissen der Republik liegt hier bei uns im Westen, in Nordrhein-Westfalen.“

Doch daran zweifeln mittlerweile selbst Abgeordnete der SPD-Landtagsfraktion: Wie getrieben suchen die Sozialdemokraten im Landtag nach Möglichkeiten, das soziale Profil der Partei zu stärken – wie etwa mit dem am Mittwoch beschlossenen Aufstockungen der Mittel für Jugendarbeit. Die Angst der Parlamentarier: Im kommenden Januar, nur fünf Monate vor den Landtagswahlen, schlagen die Kürzungen durch die Hartz-Gesetzgebung durch – 80 Prozent der Langzeitarbeitslosen erhalten weniger oder gar keine Leistungen mehr. „Das wird eine Katastrophe für uns.“