: Der ganz alltägliche Betrug
Mieterverein warnt: Jede zweite überprüfte Mieterhöhung ist unzulässig. Durch nicht gerechtfertigte Forderungen werden Hamburger jedes Jahr um mindestens acht Millionen Euro geprellt. Falsch-Mieten treiben auch den Mietenspiegel in die Höhe
Von Marco Carini
Die Kritik ließ Eckard Pahlke keine Ruhe. Nachdem der Vorsitzende des Mietervereins zu Hamburg vor einigen Wochen öffentlich verlautbart hatte, dass jede von seinen Mitarbeitern überprüfte Mieterhöhung unzulässig sei, hatte der Grundeigentümer-Verband Pahlcke heftig angegriffen. Ein „falsches Zahlenspiel“ wurde dem Juristen vorgeworfen, das nur „Panik erzeugen“ und der „Werbung neuer Mitglieder“ dienen solle.
Angestachelt von diesen „polemischen und unsachlichen Attacken“ vertiefte sich Pahlcke ein verlängertes Wochenende lang in die Aktenberge seines Vereins und erkannte schließlich seine Fehleinschätzung: Mitnichten hatte jede dritte vom Verein geprüfte Mieterhöhung „einen Kinken“ – es war gar jede zweite.
„Oft werden Mondmieten verlangt“, sagt Pahlke, und ein Katalog an Beispielen sprudelt aus ihm heraus. Da ist die 84-jährige Mieterin in der Uhlenhorster Petkumstraße 10, die von der Firma „Privatgrund“ mit Klage-Androhungen massiv unter Druck gesetzt wurde, für ihre schlecht ausgestattete Wohnung eine Miete zu zahlen, die rund 50 Euro über dem zulässigen Mittelwert des Mietenspiegels liegt. Mehr als 220 Euro pro Monat zu viel wurde von einem Mieter in der Alsterchaussee verlangt, dessen Altbau vom Vermieter zu Neubaukonditionen abgerechnet wurde. Und über 250 Euro monatlich mehr als erlaubt sollte der Bewohner einer größeren Wohnung im Mühlenkamp (Winterhude) berappen, die der Vermieter widerrechtlich aus einer normalen in eine gute Wohnlage verlegte. Bei rund 100 vom Mieterverein stichprobenhaft ausgewerteten unzulässigen Mieterhöhungen lag der zu viel geforderte Betrag im Schnitt immerhin bei 40 Euro pro Monat.
Mal ist es purer Irrtum, mal eiskalte Berechnung, die dazu führen, dass Vermieter und Verwalter überhöhte Mietforderungen stellen. Die häufigsten „Fehler“: Die Kappungsgrenze, nach der innerhalb von drei Jahren die Miete um nicht mehr als 20 Prozent steigen darf, bleibt unbeachtet, Bäder und Sammelheizungen, die gar nicht vorhanden sind, werden mitberechnet.
Mal wird ein modernisierungsbedingter „Wertverbesserungszuschlag“, der schon in die Miete einfließt, noch mal extra erhoben, mal eine mietpreisgebundene Sozialwohnung zu Markt-Konditionen vermietet. Altbauten werden zu Neubauten, normale zu guten Wohnlagen umgedichtet. Und aus einer erlaubten Miethöhe von sechs Euro macht ein unbekannter Schreibfehler-Teufel mal eben acht Euro.
„Von zehn Mietern widerspricht nur ein Einziger einer fehlerhaften Mieterhöhung“, weiß Pahlke aus Erfahrung. Oft würden die Mieter die Tricks gar nicht bemerken, manchmal auch einfach juristische Auseinandersetzungen fürchten. Haben die Mieter der Mieterhöhung erst einmal schriftlich zugestimmt, ist für sie juristisch fast nichts mehr zu holen.
„Ganz vorsichtig geschätzt“ zahlt jeder zwanzigste Hamburger Mieter rund 30 Euro pro Monat zu viel an seinen Vermieter, glaubt Pahlke. Bei 450.000 vom Mietenspiegel betroffenen Wohnungen summieren sich diese „Überzahlungen“ hamburgweit auf immerhin gut acht Millionen Euro pro Jahr. Ein Problem für alle Mieter. Denn die überteuerten Wohnungen fließen wieder in den nächsten Mietspiegel ein, und treiben diesen nach oben.
Die Bilanz des Mietervereins: Meist werden die überteuerten Mieten schon nach einem freundlichen, aber bestimmten Schreiben wieder gesenkt. Kommt es zur Klage, gewinnen die von Pahlcke & Co betreuten Mieter in drei von vier Fällen. Nur jede zehnte juristische Streit geht glatt verloren.