der stadtentwicklungsplan (teil III)
: Wir sind der Stau

Dass Verkehr ständig zunimmt, ist kein Naturgesetz

Mit dem StEP Verkehr beginne ein „neues Verkehrszeitalter“, kündigte der Senat vollmundig vor einem Jahr an. Auf ein Nachwendejahrzehnt der Restauration von Verkehrsinfrastruktur soll jetzt ein Jahrzehnt der „intelligenten Nutzung“ folgen. Experten, Planer und Kritiker diskutieren an dieser Stelle in den kommenden Wochen, immer freitags, über die Zukunft der Berliner Verkehrspolitik.

Wie kommt es, dass der Berliner Verkehr immer weiter zunimmt? Seit dem Mauerfall, als Politiker noch von einem Bevölkerungsboom ausgingen, ist die Einwohnerzahl im Metropolenraum kaum gewachsen. Zugenommen hat allerdings der Verkehr, wenn auch weniger als 1990 prognostiziert. Heute legen Berliner rund 20 Prozent mehr Kilometer zurück als noch zur Wendezeit.

Drei Ursachen könnten der Hauptstadt noch weiteres Verkehrswachstum bescheren: Erstens die starke Veränderung der Siedlungsstruktur. Viele Berliner ziehen an den Rand der Stadt und ins Umland. Die Stadt wächst also weiter hinein in die Region, die Bevölkerung pendelt stärker zwischen Arbeitsplatz, Wohnung, Versorgungs- und Freizeitangeboten. Arbeitsplätze in den östlichen Stadtbezirken sind verschwunden, neue entstehen vor allem in der Innenstadt. Der Bau großer Einkaufszentren geht weithin zu Lasten der wohnungsnahen Läden.

Zweitens haben die Berliner ihre Mobilitätsgewohnheiten denen anderer Großstädter angepasst. Verkehrswachstum war die Folge.

Der dritte Grund: Die „globalisierte Wirtschaft“ hat sich neu organisiert. Große Städte sind nicht mehr Zentren der Produktion. Vielmehr nehmen Spezialisierung und Arbeitsteilung immer noch zu. Produkte und Dienstleistungen werden europa- und weltweit ausgetauscht – mit der Folge wachsenden Personen- und Güterverkehrs.

Dies alles sind keine „Naturgesetze“ moderner Gesellschaften, vielmehr unterstützen und fördern wir als Marktteilnehmende diese Entwicklung, obgleich wir oft alternative Möglichkeiten hätten. Aber: Wer kauft den Lachs nicht bei Aldi, sondern im Laden „um die Ecke“? Wer gibt sich im Winter mit brandenburgischen Runkelrüben zufrieden? Wer verreist im Sommer höchstens bis zum Spreewald? Selbst bei einer „entfernungsbewussten“ Lebensweise nutzen wir preisbewusst den Billigflieger in die Türkei oder die Karibik. „Wir sind der Stau“, wie ein gängiges Bonmot feststellt.

Was können wir dagegen tun? Mehr oder zumindest gleiche Mobilität mit weniger Verkehr. Wie ginge das? Wir alle könnten unsere Aktivitäten mit einer weniger entfernungsaufwändigen Zielwahl verbinden. Außerdem könnten wir öfter mal mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Fahrrad fahren und damit den Autoverkehr begrenzen.

Um ein solches Umdenken zu fördern, ist die Politik gefordert. Sie muss zukünftig über die klassische Verkehrspolitik hinausdenken, wie es der neue Stadtentwicklungsplan Verkehr für Berlin vorgibt. Stadtplaner zum Beispiel arbeiten mit daran, die weitere Zersiedelung der Berliner Region einzudämmen, die Nutzungsmischung in der Stadt zu verbessern, die Kieze in der Stadtstruktur zu stärken und dadurch für die Bevölkerung bessere Wahlmöglichkeiten zu schaffen. So will der StEP Verkehr die Voraussetzungen für die Nutzung umweltfreundlicher Verkehrsmittel in der Stadt noch verbessern. Eine solche „angebotsorientierte“ Strategie hat in Zeiten des Haushaltsnotstandes freilich ihre Grenzen, insbesondere dann, wenn die Nachfrage dem zu einem großen Teil öffentlich finanzierten Angebot nicht folgt.

Hier steckt ein zentrales Problem: die Intransparenz der Kosten des Verkehrs. Wer weiß schon, welche Kosten des Kfz-Verkehrs mit den Verkehrssteuern abgegolten werden? Tatsächlich zahlen Autofahrer nicht für die verursachten Emissionskosten. Die europäische Politik müsste den Anstoß für eine gerechtere Kostenverteilung im Verkehr geben. Dies alles würde ein entfernungsbewussteres Verhalten und die Wahl umweltverträglicherer Verkehrsmittel unterstützen.

Allerdings können Verkehrspolitiker zwar kilometerbewusstes Verhalten fördern, aber keinesfalls erzwingen. Kurze Entfernungen in der Stadt bedeuten noch lange nicht entfernungsbewusstes Verhalten. Ein umweltbewusster Lebensstil, der von vielen BerlinerInnen angestrebt wird, ist zudem noch lange nicht ein allgemeiner Trend. Und wer nutzt nicht gerne mal die sich bietenden Möglichkeiten eines 19-Euro-Fluges nach Rom? Nachhaltige Verkehrspolitik ist auf gesellschaftliche Akzeptanz angewiesen. Schließlich kann sie nur „gelebt“ werden, wenn wir die grundlegenden Zusammenhänge verstehen – und Politiker und Planende mit unseren tagtäglichen Entscheidungen unterstützen. FRIEDEMANN KUNST

Der Autor ist verantwortlich für Grundsatzangelegenheiten der Verkehrspolitik bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Nächsten Freitag: „Ungleiche Mobilitätschancen in Berlin“