: Nordkorea probiert die Marktwirtschaft
Auf rund 300 Märkten wird um Lebensmittel und Schuhe gefeilscht. Am Nahrungsmangel hat das nichts geändert
TOKIO/PJÖNGJANG taz ■ Als Nordkoreas „Geliebter Führer“ Kim Jong Il neulich die Werkzeugfabrik Kosong inspizierte, sagte er den Genossen Arbeitern: „Sehr verdienstvoll, wie diese Fabrik den Prinzipien des Profits gehorcht.“ Für nordkoreanische Ohren eine überraschende Botschaft und deshalb der amtlichen Nachrichtenagentur in Pjöngjang eine Meldung wert. Dabei sind es nun schon zwei Jahre her, seit das Politbüro drastische Wirtschafsreformen verordnet hat.
Nach Jahrzehnten knallharter Planwirtschaft sollten Löhne auf Leistung abstellen und Preise auf Angebot und Nachfrage. Bauernmärkte wurden legalisiert, Staatsbetriebe dazu angehalten, Kunden zu suchen. Ausländischen Delegationen, die in den letzten Monaten Nordkorea besuchten, wurde der Tongil-Markt außerhalb Pjöngjangs vorgeführt: mit Ananas im Angebot, chinesischen Schuhen, Waschmaschinen. „Es wird richtig gefeilscht“, berichtet der amerikanische Nordkorea-Experte Selig Harrison freudig-aufgeregt. „Alle sind darauf aus, Geld zu machen.“ Offenbar handelt es sich dabei nicht nur um reine Blenderei des Regimes. Dem südkoreanischen Wiedervereinigungsministeriums zufolge sind landesweit 300 Märkte entstanden.
Hilfswerke betonen allerdings: Die Versorgungssicherheit habe sich dadurch nicht markant verbessert, zumal die Kaufkraft gering sei. Laut UNO-Welternährungsprogramm sind 6,5 Millionen der insgesamt 23 Millionen Nordkoreaner auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen. In den 1990er-Jahren sind hunderttausende Menschen verhungert.
Zu den Gewinnern der Reformen dürften die Bauern zählen. Sie erzielen relativ einfach Zusatzverdienste und können damit Güter bezahlen, die sich nach Lockerung der staatlich festgelegten Preise stark verteuert haben. Anders die Situation in der Industrie: Viele Kombinate modern vor sich hin. Wenn Rohmaterialien fehlen und Elektrizität, lässt sich die Produktion nicht erhöhen – und somit auch die Saläre der Arbeiter nicht.
Wie stark die Preise für Wohnungen und Alltagsgüter seit Juli 2002 angestiegen sind und um wie viel die Löhne zugelegt haben, ist schwierig abzuschätzen. Nordkorea rückt keine wirtschaftlichen Eckdaten heraus.
Eine Beurteilung der Reformen wie auch der nordkoreanischen Volkswirtschaft ist unter diesen Umständen schwierig. Es bleibt bei Schätzungen und Mutmaßungen. Wie etwa die der südkoreanischen Zentralbank, wonach Nordkoreas Bruttoinlandsprodukt drei Prozent von dem des Südens erreicht.
Der Außenwelt hat sich das Land hingegen nur wenig geöffnet. Eine vor Jahren geschaffene Sonderwirtschaftszone nahe der russisch-chinesischen Grenze hat als konkretestes Ergebnis ein Kasino hervorgebracht. Mehr Chancen auf Erfolg dürfte die Sonderwirtschaftszone haben, die an der innerkoreanischen Grenze entsteht.
Doch für eine wirkliche Öffnung steht sich das verknöcherte Regime selbst im Weg: Weiter wird ein autarkes Wirtschaftssystem angestrebt, eine Idee von Staatsgründer Kim Il Sung, dem Vater des jetzigen Diktators. Und daran darf nicht gerüttelt werden. MARCO KAUFFMANN