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Archiv-Artikel

Verzettelter Überfall

Das Leben als eine Reihe von Schicksalsschlägen: Weil er nicht von harten Drogen lassen konnte, ist ein 31-Jähriger zum Bankräuber geworden. Das Bremer Amtsgericht musste gestern über ihn urteilen

VON FELIX ZIMMERMANN

Es müssen marternde Stunden für R. gewesen sein, als er am frühen Morgen des 3. April 2008 in Loxstedt bei Bremerhaven erwachte. Ohne Drogen im Körper, ohne Stoff in greifbarer Nähe. Tabletten fand er und schmiss sie ein, trank Alkohol, konnte aber die Wirkungen des Entzugs nicht aufhalten. R. fuhr nach Bremen. Der Hauptbahnhof, sagt er, sei die erste Adresse bei der Suche nach Drogen. Aber er fand niemanden, der ihm etwas verkauft hätte. Er kennt die Gegend, war da oft unterwegs, kennt die Sparkassenfiliale in der Bahnhofstraße. Und tat dann das, was er sich heute nicht mehr erklären kann und weshalb ihm gestern vor dem Amtsgericht der Prozess gemacht wurde.

Mal wieder. Das Strafregister des 31-Jährigen, Vater eines achtjährigen Sohnes, ist lang. Knapp sechs Jahre seines Lebens hat er im Gefängnis verbracht, wegen Diebstahls und Raubs, vor allem weil er nicht lassen konnte von harten Drogen. Dabei hatte er Fürsprecher, auch der vorsitzende Richter kennt ihn. Er sagt, er verstehe nicht, was R. da immer wieder tue. Es klingt so, als habe er an R. geglaubt und diesen Glauben nun verloren.

R. setzte sich an diesem Morgen nieder und schrieb einen Zettel, den er wenig später, halbwegs vermummt, einer Sparkassenmitarbeiterin auf den Tresen legte: „Das ist ein Überfall. Legen Sie unauffällig 10.000 Euro auf den Tresen. In meiner Tasche habe ich, wie Sie sehen, eine Waffe.“ Die Kassiererin tat wie befohlen, obwohl sie keine Waffe sah. „Aber ich handelte so, als hätte er eine“, sagte sie vor Gericht – aus Angst. Sie klaubte knapp 8.000 Euro zusammen und schob sie dem Mann hin, dessen Gesicht sie als außergewöhnlich blass und schmal in Erinnerung hat. R., so sagt es der Staatsanwalt später in seinem Plädoyer, hatte an diesem Tag keine andere Wahl, irgendwie musste er sich Geld besorgen. Er kritzelte seine Forderung aufs Papier, der Richter hat Mühe, sie zu entziffern. Der Entzug mag R. gesteuert haben, aber eben das hat Spuren im Leben der Sparkassenangestellten hinterlassen. Seither arbeitet sie zwar weiter in derselben Filiale, nach dem Überfall – ihrem zweiten – aber bedurfte sie psychologischer Betreuung. Als Kassiererin wollte sie nicht wieder eingesetzt werden.

Als die Zeugin ihre Aussage abgeschlossen hat, bittet R. um das Wort. Er entschuldigt sich bei der Frau. Es tue ihm wirklich leid, sie solle nicht denken, er sitze nur dort, um sich seine Strafe abzuholen. „Es tut mir leid, dass ich das gerade Ihnen angetan habe.“ Dann begegnen sich die Blicke des Angeklagten und des Opfers kurz. Als sich die Zeugin verabschiedet, hört es sich an, als gelte auch ihm ihr freundliches „Tschüss“.

Schwer zu sagen, wie R.s Leben so aus den Fugen geraten konnte, bis es schließlich an diesem Tag im April an seinen Tiefpunkt gelangte. Der Richter nennt ihn „eine tragische Person“, vieles sei „ganz grundsätzlich falsch gelaufen“, dann fordert er, R. möge es erklären, „so dass wir es verstehen“. Das ist viel verlangt. Kann R. das erklären? Versteht er sein Leben, das er selbst doch gar nicht im Griff hat?

R. wuchs als zweiter Sohn eines Polizeibeamten und einer Kindergärtnerin auf. Geordnete Verhältnisse, „eine gute Familie“, sagt er. Als er sechs Jahre alt war, stürzte sein Vater, ein Hobbypilot, über dem Wattenmeer ab. Drei Jahre später wurde in einer seiner Nieren ein Tumor festgestellt. R. wurde operiert, zwei Jahre Chemotherapie besiegten die Krankheit, die doch immer wieder zurückkehren kann. R. beendete die Grundschule, ging auf die Realschule, kam dort nicht mit, wechselte zur Hauptschule und schaffte an der Realschule doch noch die Mittlere Reife.

Da hatte er sein Leben im Griff, manch einer wäre nach den Belastungen in der Kindheit vielleicht schon früher auf die Bahn gekommen, die in die Tragödie führt. R. begann eine Automechanikerlehre, bis die Ordnung seines Lebens im zweiten Lehrjahr zu bröckeln begann. „Es fing an mit Drogen, ist immer mehr geworden“, sagt R. „Mit Ach und Krach“ bestand er die Gesellenprüfung, arbeitete noch ein Jahr bei Mercedes, dann war es vorbei. Erst Haschisch, dann Kokain, 1997/98 war das, ein halbes Jahr später Heroin. Er spritzte es sich von Anfang an, zuletzt fand er nur noch Platz in der Leistengegend, weil anderswo längst nur Narben waren, da kam er nicht mehr durch.

R.s Leben wechselte zwischen Knast und Kriminalität, Therapieversuchen und Jobs. Mal war er clean, meistens auf Droge, fand aber immer wieder Arbeit und Fürsprecher, so wie zuletzt, als er – nach dem Banküberfall – bei einem Wilhelmshavener Unternehmen als Schweißer tätig wurde. Dessen Personalchef kannte seine Lebensgeschichte, stütze ihn, aber konnte nicht helfen, als R. aus der Arbeit heraus von Zielfahndern verhaftet wurde. DNA-Spuren auf dem Zettel des Bankraubs hatten R. überführt. Als der Haftbefehl auf Betreiben des Personalchefs vom Richter des gestrigen Prozesses außer Vollzug gesetzt wurde, hätte R. wieder arbeiten können, aber es ging nicht mehr. Er habe bei den Kollegen als Junkie gegolten, und war nicht stark genug, das zu ertragen, meldete sich krank, tauchte ab in das alte Leben, das ihn immer wieder angezogen hat.

Gestern wurde er zu 18 Monaten Haft verurteilt, sobald er einen Therapieplatz hat, kommt R. in Behandlung.