: „Das ist Militärfetischismus“
Stillgestanden, Hirn aus! Nein danke, sagt Sebastian, 20, verweigert die Musterung und demonstriert gegen das Bundeswehrgelöbnis. Obwohl er damit seine Totalverweigerung riskiert
von STEFFEN BECKER
„Rekruten gehen in die Kaserne, geben dort ihr Gehirn ab und vergessen, es wieder mitzunehmen.“ Sebastian will seinen Verstand auf gar keinen Fall an den Nagel hängen – er ist Totalverweigerer. Fast jeden Monat kommt eine Vorladung zur Musterung, die er bisher beharrlich verweigert hat. Er meldet seinen Wohnort regelmäßig um, lässt sich krankschreiben. Die Polizei stand bereits dreimal vor der Tür, um ihn zum Kreiswehrersatzamt zu „begleiten“. Seinen echten Namen verschweigt er deshalb lieber. Bis zu seinem 25. Geburtstag muss er noch durchhalten, dann kann er nicht mehr gemustert werden.
Der Weg des geringsten Widerstandes kam für den 20-Jährigen nie in Frage. Zivildienststellen sieht er als Teil des Systems Kriegsdienst. Seine Verweigerung ist kein privates Katz-und-Maus-Spiel, sondern Teil seines politischen Engagements. Seine Eltern bringen ihn mit linken Ideen in Berührung, auf den Straßen seines Heimatbezirkes Treptow wird er mit Neonazis konfrontiert. Sebastian merkt, dass sich etwas ändern muss, und beginnt, sich zu engagieren. Seit er 14 ist, macht er Antifa-Arbeit, zurzeit bei der Antifaschistischen Linken Berlin.
Mit seiner Gruppe wird er morgen auch wieder bei der Gelöbnix-Demonstration dabei sein. Die Bundeswehr steht in den Augen des überzeugten Pazifisten für alles, was er ablehnt: „Das Militär folgt einer imperialistischen, kapitalistischen Logik, es führt Angriffskriege, es steht in der Tradition der Wehrmacht und es ist eine Ausbildungsstätte für Neonazis.“ In Deutschland habe eine Armee einfach nichts mehr verloren, meint er. Dieses Ziel liegt in weiter Ferne. Sebastian weiß das: „Da darf man sich keine Illusionen machen. Mit Demos wie gegen das Gelöbnis erreichen wir da nicht viel.“
Doch wenn man Soldaten schon nicht aus der Gesellschaft verdrängen könne, dann wenigstens aus dem öffentlichen Raum. Aufgrund der Proteste können die Rekruten ihren Eid nur hinter Absperrungen und abgeschirmt von 1.000 Polizisten schwören. „Und wir kommen durch die Aktion an junge Leute ran. Die können wir dann überzeugen, ebenfalls den Kriegsdienst zu sabotieren.“
Die Gelöbnix-Demo garantiert Aufmerksamkeit. Die Öffentlichkeit nimmt die Demonstrationen eben so stark wahr wie das Gelöbnis selbst. „Auch wenn wir das Ritual nicht verhindern können, zeigen wir den Menschen doch, dass wir diesen Militärfetischismus nicht akzeptieren wollen“, sagt Sebastian. Den Leuten solle klar gemacht werden, dass das, was sie sehen, keine harmlose Kostümfolklore ist, sondern eine Demonstration soldatischer Unterordnung: „Diese Typen wissen genau, dass sie einen Kriegsdienst leisten. Und wenn ihr Befehl lautet ‚Schießen‘, dann schießen sie eben.“
Sebastian will Flagge zeigen. Dafür geht er ein hohes persönliches Risiko ein. Werden auf der Demonstration seine Personalien aufgenommen, kann die Polizei ihn zur Musterung zwingen. „Damit muss ich dann wohl leben“, sagt er. Der Protest ist ihm einfach wichtiger.
Die Gelöbnix-Demonstration startet morgen um 16 Uhr am Brandenburger Tor und endet in der Nähe des Bendlerblocks. Dort beginnt um 18 Uhr das Gelöbnis mit Verteidigungsminister Peter Struck und seiner französischen Amtskollegin Michèle Alliot-Marie.