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Archiv-Artikel

Meeresprise im Nudeltopf

See, Sonne, Wind und Mensch erschaffen das biologisch reine Meersalz. Feinschmecker und Spitzenköche schwören darauf, denn es eröffnet eine andere geschmackliche Dimension

von TILL DAVID EHRLICH

Die Sonne brennt auf der Haut, der Wind schneidet ins Gesicht. Das Rauschen des Atlantiks hört man von fern. Die Luft riecht nach Meer. Weiße Salzpyramiden flimmern in der Hitze. In rechteckigen Bassins, den Salinen, spiegelt sich der Himmel. Hier verdunstet Meerwasser. Ein Greifvogel kreist lautlos über den Salinen von Guérande. Wir sind in Frankreich, im Süden der Bretagne. Der Landstrich gilt als eine der saubersten Atlantikküsten Europas. Dort findet man die letzten Meeressalinen. Guérande bedeutet Weißes Land. Weiß wie Salz. Seit mehr als tausend Jahren kratzen die Salzbauern das Salz aus den Salinen.

Weißes Gold hieß das Salz früher. Es zu besitzen, war Inbegriff von Reichtum und Wohlstand. Die Salinen an der französischen Atlantikküste werden seit der Zeit Karls des Großen betrieben, seit 1.200 Jahren. Seither haben sich die Methoden der Salzgewinnung dort kaum geändert. Noch vor hundert Jahren gab es unzählige Salinen. Heute sind es nur noch drei Gebiete an der französischen Atlantikküste, in denen das Salz traditionell gewonnen wird. Die Salinen von Guérande sind die berühmtesten. Auch wenn die industrielle Gewinnung von billigem Steinsalz die traditionelle Gewinnung verdrängt hat – kostbar und geschmacklich unübertroffen ist biologisch reines Meersalz geblieben.

Es sind vor allem die Feinschmecker und Spitzenköche, die das weiße Gold von Guérande begehren. Ihnen gilt es als unverfälschtes Würzmittel, als Essenz des Meeres. Salz hat ein unberechenbares Wesen. Wir nehmen es wahr als Gegensatz zur Süße. Ihr gilt unsere heimliche Leidenschaft, das Salz indes macht uns zum Apotheker. Selbst erfahrene Köche können sich im Salz vergreifen. Dann ist der Koch verliebt und die Speise ungenießbar. Die kunstvollste Kreation wird zur Qual, wenn sie versalzen ist. Das sprichwörtliche Salz in der Suppe ist ein schmaler Grat, die Dosierung eine Kunst. Salzloses Essen kann fade schmecken, aber ein Zuviel verdirbt alles.

Salz und Zucker werden des Öfteren verwechselt und stellen unsere Leidensfähigkeit auf eine harte Probe. Ein Tomatenbrot, versehentlich mit Zucker bestreut, ist ärgerlich. Aber ein Pudding, großzügig mit Salz gekocht, ist unwiederbringlich verloren. Wie schmeckt eigentlich Salz? Die Antwort fällt schwer. Da ist zunächst das ordinäre Tafelsalz, das überall zu Schleuderpreisen verkauft wird. Es wirkt, wenn wir es bewusst wahrnehmen, im Mund unangenehm scharf, ja ätzend. Es besteht zu 99 Prozent aus Natriumchlorid, ist chemisch gereinigt und gebleicht. Durch weitere industrielle Eingriffe wird es rieselfähig gemacht. Ob es nun jodiert ist oder nicht, ob es aus Meeressalz oder Steinsalz erzeugt wird, das ist im Grunde gleichgültig. Sie alle sind dem Genuss abträglich. Diese Salze geben denen Recht, die im Salz kein Thema entdecken mögen.

Handwerklich in Salinen gewonnenes Meersalz eröffnet eine andere geschmackliche Dimension. Es ist reines Naturprodukt, nicht aggressiv, sondern soft. Eine ordentliche Prise sorgt im Nudeltopf für echtes Seeklima. Und steigert auf geheimnisvolle Art den Eigengeschmack der Nudel, ohne ihn zu dominieren. Diese Eigenschaft verdankt das Salz dem Meer. Es ist pur und frei von industrieller Manipulation, enthält Spuren von Algen und Mineralien. Weil es in sich harmonisch und natürlich ist, sinkt auch die Gefahr des Versalzens, das Kochen wird viel unkomplizierter. Zudem verwendet man es bewusster. Etwa ein Drittel kann man beim Kochen einsparen. Wie das Salz schmeckt, hängt davon ab, in welchen Meeren und Küsten es gewonnen wird. Und nicht zuletzt entscheidet die Sorgfalt der Salzbauern über die Qualität.

Das weiße Gold sieht in Wirklichkeit eher blassgrau aus. An den Methoden der Salzgewinnung hat sich in tausend Jahren kaum etwas geändert. Wind und Sonne dörren die flachen Lehmbassins aus. Wenn das Meereswasser verdunstet ist, kratzen die Salzbauern die Kristalle mit hölzernen Rechen aus den Bassins, häufen das Salz zu Pyramiden auf. Geerntet wird von Mai bis September. Sonne, Wind und Regen entscheiden, wie die Ernte ausfällt. Wenn es viel regnet, gibt es kein Salz. Die Krönung der Salzgewinnung ist fleur de sel – die Salzblume. Nach wenigen Tagen bilden sich in den Bassins auf der Wasseroberfläche zarte, filigrane Kristalle. Wie eine dünne Eisschicht. Die zerbrechlichen Kristalle werden vorsichtig von Hand geerntet. Wenn es regnet, war alles umsonst.

Die Blüte des Salzes ist das beste Salz überhaupt. Es ist reinweiß bis zartrosé. Der Geschmack ist blumig, kraftvoll und zugleich subtil. Es würzt fein und präzise. Fleur de sel ist für Nudelwasser selbstredend zu schade. Man streut es etwa über Tomaten, gebratenen Fisch oder foie gras. Es ist aus der Gourmet-Küche nicht mehr wegzudenken. Das weiße Gold in Verbindung mit edlem Fisch entwickelt einen grandioses Geflecht von Aromen, das unbeschreiblich ist.

Ozean, Sonne, Wind und Mensch erschaffen das Salz. Guérande, das Weiße Land, ist ein Biotop. In der Meeressaline finden seltene Vögel Zuflucht. Vielleicht ist das harmonische Zusammenspiel von Natur und Mensch das Geheimnis der kostbaren Essenz des Meeres.