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Archiv-Artikel

Verbieten ist hier verboten

In „Astrid Lindgrens Welt“, einem Vergnügungspark im südschwedischen Vimmerby, leben Kinder ihre Träume. Ein Besuch in der Krachmacherstraße mit Villa Kunterbunt und Mattisburg

von ROBERT B. FISHMAN

Tante Berg kommt bestimmt gleich wieder. Die Tür zu ihrem Haus steht offen, und die Teetasse hat auch noch niemand abgeräumt. An Blomgrens Tankstelle bekommt ein alter VW Käfer gerade seinen Sprit. Der schwarze, chromblitzende Volvo aus den 1950ern ist als Nächstes dran. Draußen auf der Krachmacherstraße hat sich Karlsson vom Dach unbemerkt unter die Besucher gemischt. „Kannst du fliegen?“, fragt er einen kleinen Jungen, der schüchtern auf den Boden schaut und Mamas Hand noch fester hält. „Schau mal“, muntert Karlsson den Kleinen auf. Der Junge hebt den Kopf und wird neugierig, als Karlsson auf seinen dicken Bauch drückt und so den Propeller auf seinem Rücken anwirft. Der Knirps strahlt, und Karlsson verschwindet wieder in der Menge.

Unterdessen versucht Pippi Langstrumpf die beiden Dorfpolizisten davon zu überzeugen, dass sie kein Kinderheim braucht, weil sie ja schon eines hat: ihre Villa Kunterbunt. Die findet sich ebenso wie die Krachmacherstraße, die Mattisburg von Ronja Räubertochter und viele anderen Szenen aus Astrid Lindgrens Kinderbüchern im Erlebnispark „Astrid Lindgrens Welt“ im südschwedischen Vimmerby.

Verbieten ist hier verboten. Die Kinder dürfen überall hinein, alles anfassen und ausprobieren. Wer mag, krabbelt in Pippis Villa Kunterbunt, spielt „Nicht den Boden berühren“ oder schaut in die Mini-Vimmerby-Holzhäuser. Von der Volksschule über den Marktplatz, das Hotel bis zu den krummen Kopfsteinpflastergassen hat „Astrid Lindgrens Welt“ das Städtchen maßstabsgetreu nachgebaut.

Inzwischen kommt, wie gerufen, Pippis Vater, der Seeräuber, mit seinem Piratenschiff aus Taka-Tuka-Land und erklärt den beiden etwas dusseligen Polizisten, dass seine Tochter sehr wohl allein in der Villa Kunterbunt leben kann. Das Publikum klatscht begeistert, und alle tanzen vor Freude.

60 junge Schauspieler inszenieren jeden Tag aufs Neue ohne festen Terminplan die Geschichten von Karlsson vom Dach, Pippi Langstrumpf, Ronja Räubertochter, Michel von Lönneberga und all den anderen Kinderhelden auf dem weitläufigen Gelände von „Astrid Lindgrens Welt“. Die Bühne ist da, wo sie gerade stehen, auf dem Piratenschiff, vor der Villa Kunterbunt, in und auf der Mattisburg oder einfach mitten im Gelände, wo die Figuren auftauchen, die Kinder in die Geschichten holen und zum nächsten Auftritt weiterziehen.

„Alle großen Dinge“, sagte Astrid Lindgren, „passieren zuerst in der Fantasie eines Menschen“. Drei Vimmerbyer Familien kamen 1981 auf die Idee, der berühmtesten Tochter ihres Städtchens ein lebendiges Denkmal zu setzen. So entstand der Freizeitpark „Astrid Lindgrens Welt“, heute eine städtische Aktiengesellschaft, die mit jährlich 350.000 Besuchern mehr als 70 Millionen Kronen (rund 7,5 Millionen Euro) umsetzt.

Verglichen mit deutschen Freizeitparks sind die Eintrittspreise zivil. Mit 110 Kronen (rund 12 Euro) pro Erwachsenen und 95 Kronen pro Kind zwischen 4 und 15 Jahren ist alles bezahlt. Kinder unter 4 dürfen kostenlos rein. Nirgends scheppern und dröhnen geldgierige Automaten. Alles, was man hört, sind lachende und spielende Kinder. Keine Attraktion kostet zusätzlichen Eintritt.

Elementare Erlebnisse reichen, um die Besucher in „Astrid Lindgrens Welt“ zu begeistern: Ein Baum zum Balancieren, Steine, über die man durch einen Bach springen kann, ein Kletterhaus mit Rutschen, ein Floß mit einer Ziehleine über einen Teich oder das große Haus. Hier sind Stühle, Tisch, Wände und Fenster so hoch, dass sich Erwachsene wie Kleinkinder fühlen. Die Kinder freuen sich, wenn sich Papa auf die mehr als 1,50 Meter hohe Sitzfläche eines Stuhls quält. Auch eine Idee der Schriftstellerin Astrid Lindgren.

„Wir wahren ihr Erbe“, verspricht Marketingchef Nils-Magnus Angantyr. Ein Aufsichtsrat, in dem auch Astrid Lindgrens Tochter sitzt, passt auf, dass „Astrid Lindgrens Welt“ in Vimmerby die ihre bleibt. Alles sieht so aus, wie es die im vergangenen Jahr mit 95 Jahren verstorbene Schriftstellerin und Kämpferin für die Rechte der Kinder in ihren Büchern beschrieben hat: die Mattisburg von Ronja Räubertochter, die drei roten Bauernhäuser von Bullerbü, Michels Hof mit den großen Holztieren zum Klettern, Katthult, Birkenlund, Pippis „Nicht-den-Boden-berühren“-Parcours oder Lottas Küche, heute ein gemütliches, helles Selbstbedienungsrestaurant mit eigenem kleinem Kinderbuffet.

Mit dem Astrid-Lindgren-Haus hat der Park seiner Schöpferin 1998 ein rührendes Denkmal gesetzt. Die Ausstellung erzählt mit liebevoll nachgebauten Objekten sowie vielen Fotos und Dokumenten Astrid Lindgrens bewegtes Leben. Der Rundgang beginnt in der Küche des elterlichen Bauernhofs, wo man manchmal die kleine Astrid oder ihre Mutter singen hört. Hier hat sie, wie sie später sagte, die Geborgenheit und die Freiheit erfahren, aus denen ihre Lebenskraft, ihre Zuversicht und ihre Kreativität erwachsen konnten. Die nachgebaute Scheune mit der lebensechten Landstreicherpuppe erinnert an Astrids unbeschwerte Begegnungen mit den Vagabunden, die sie in mehreren ihrer Bücher verewigt hat.

An anderer Stelle sehen die Gäste Lindgren in der Straßenbahn sitzen, mit der sie durch das verschneite Stockholm fuhr, oder man schaut durch ein Fenster in ihre Wohnung. Hier schrieb sie ihre Bücher und setzte ihre Liebe zur Natur und ihre kindliche Lebensfreude in politisches Engagement um. Sie kämpfte lautstark gegen Gewalt im Alltag und in der Politik. Ein Zeitungsbericht über Massentierhaltung entsetzte die naturverbundene Bauerntochter so sehr, dass sie mit viel Ausdauer der schwedischen Regierung eines der ersten europäischen Tierschutzgesetze abtrotzte.

Ein Film vermittelt Astrid Lindgrens Botschaft. Ein Leben voll Fantasie und ohne Gewalt, in der die Menschen einfach sein dürfen: fröhlich, unbeschwert und angstfrei, wie im Lindgren-Vergnügungspark.

Astrid Lindgrens Värld, geöffnet täglich 10–18 Uhr, Tel. +46 492 79 800 www.alv.se, Info und Zimmervermittlung: Vimmerby Turistbüro, Västra Tullportsgatan 3, 59821 Vimmerby, Schweden, Telefon +46 492 31010 www.turism.vimmerby.se