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Archiv-Artikel

Die Angst der Länder vorm Fahrverbot

Weil die Länder die Belastung mit Feinstäuben nicht in den Griff bekommen, wollen sie nun die Grenzwerte aufweichen. Doch der Bund weigert sich beharrlich, der Bitte nachzukommen. Das könnte die Länder nun zu drastischen Maßnahmen zwingen

VON MATTHIAS URBACH

Die Messstation an der Berliner Stadtautobahn in Wilmersdorf macht dem Berliner Senat Kopfzerbrechen. 117-mal wurde dort 2003 der Grenzwert für die Belastung mit Feinstäuben überschritten. Ab nächstem Jahr darf der Grenzwert nur noch an 35 Tagen überschritten werden. So verlangt es die Luftqualitätsrichtlinie der EU, die auf Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO zurückgeht.

Was tun? Die Belastung verringern? Nein. Der rot-rote Senat hatte eine bessere Idee: Mit dem schwarz-gelben Baden-Württemberg brachte er einen Antrag im Bundesrat ein, der den Bund auffordert, sich bei der EU-Kommission „dafür einzusetzen, dass die Grenzwerte einer Prüfung unterzogen werden“ – und die Fristen verlängert werden. Der Antrag ging – von der Öffentlichkeit kaum bemerkt – vor einer Woche glatt durch den Bundesrat.

Berlin spricht vielen Gemeinden aus dem Herzen. In 70 bis 120 Kommunen erwarten die Länder in den kommenden fünf Jahren Überschreitungen der Grenzwerte für Stickoxide und Feinstäube an großen Straßen „um den Faktor 2 bis 3“. Dies sei nur durch „einschneidende Maßnahmen“ zu verhindern. Das wären zum Beispiel Fahrverbote für Dieselautos ohne Rußfilter. Das Bundesverkehrsministerium erarbeitet bereits eine Verordnung, um die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen.

Feinstäube sind zwar kein Problem der Dieselmotoren allein: Auch Kraftwerke, Fabriken, Öl- und Kohleheizungen, ja selbst Massentierhaltung tragen zu ihrer Bildung bei. Auch werden sie aus anderen Ländern zu uns geweht – freilich wehen auch unsere Partikel in andere Länder. Kurzfristig kann ein Waldbrand in Russland spürbar zur Belastung beitragen.

Feinstäube führen zu Lungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bis hin zum Krebs. Deshalb hatte der Bundesrat selbst die Grenzwerte vor drei Jahren noch abgesegnet. Auch wurden schon eine Reihe von Maßnahmen beschlossen, um die Feinstäube in den Griff zu kriegen. Doch eines hatten die Länder unterschätzt: die stark steigenden Neuzulassungen von Dieselautos. Während die Feinstäube in den Neunzigern deutlich zurückgingen, nehmen sie seit ein paar Jahren wieder zu. Und: Die Dieselpartikel der neuen Einspritzermotoren sind besonders giftig, weil sie lungengängig sind. Die Länder setzen sich im selben Beschluss für eine rasche steuerliche Förderung der Dieselrußfilter ein.

Viel wäre erreicht, meint Stefan Bundscherer vom Umweltverband BUND, wenn die Kommunen Nahverkehrsbusse und kommunale Fahrzeuge mit Rußfiltern ausstatten würden. An stark verkehrsbelasteten Orten schließlich, sollten die Kommunen „Pläne für Fahrtbeschränkungen für Diesel ohne Filter vorlegen“.

Die Bundesregierung will der Bitte der Länder nach lascheren Grenzwerten nicht nachkommen: „Natürlich bedarf es enormer zusätzlicher Anstrengungen“, erklärt Umweltminister Jürgen Trittin. „Wenn tausende Menschen vor staubbedingten Krankheiten geschützt werden, lohnt sich die Mühe.“