: Die Seele der Partei
Neuer SPD-Vorsitzender Mathias Petersen geht auf Distanz zur Politik von Bundeskanzler Schröder. Heftige Kritik auch am unsozialen Kurs des Hamburger CDU-Senats. Basis bedankt sich mit sehr gutem Wahlergebnis für Streicheleinheiten
von Sven-Michael Veit
Hamburgs SPD hat einen Therapeuten gefunden. Der Arzt und Bürgerschaftsabgeordnete Mathias Petersen wurde vom Landesparteitag im Bürgerhaus Wilhelmsburg am Sonnabend zum neuen Parteivorsitzenden gewählt. Mit 249 von 292 gültigen Stimmen (85,3 Prozent) erzielte er ein überraschend gutes Ergebnis. „Wir Sozis sind ja so was von diszipliniert“, kommentierte ironisch eine Sozialdemokratin, die sich keineswegs zu Petersens Gefolgschaft zählt. „Das Wichtigste ist jetzt, Geschlossenheit zu demonstrieren“, achselzuckte ein anderer Genosse.
Der 48-Jährige hatte sich vor zwei Wochen als selbst ernannter „Kandidat der Basis“ in einer Urwahl gegen den Favoriten des Landesvorstandes, Knut Fleckenstein, durchgesetzt. Deshalb war bei der formellen Wahl durch den Parteitag mit erheblich mehr Gegenstimmen gerechnet worden. Petersen aber gelang es, mit einer taktisch klugen Parteitagsrede Seelen zu streicheln, Jubelstürme allerdings vermochte er nicht auszulösen.
Sein vehementes Plädoyer „für mehr soziale Gerechtigkeit“ blieb zwar weitgehend nebulös, traf aber die Stimmung im Saal. Wohl dosiert fielen Petersens Abgrenzung von der Bundesregierung einerseits und die Angriffe auf den Hamburger CDU-Senat andererseits aus. Die Sozialreformen in Deutschland seien zwar „notwendig“, aber sie müssten „gerecht umgesetzt“ werden, forderte Petersen. „Wir können nicht Millionen Menschen die Bürden von Hartz IV zumuten und gleichzeitig Gewinne aus Aktienverkäufen steuerfrei bleiben lassen“, so Petersen unter großem Applaus, und forderte „ein lautes und deutliches Ja“ zur Vermögenssteuer und einer „gerechten Erbschaftssteuer“.
Letztlich sei die Politik der Bundesregierung und Bundespartei schuld an den verheerenden Wahlniederlagen der SPD und diese deshalb in „der Gefahr, sich als Volkspartei zu verabschieden“. Er erwarte, so Petersen, „dass die Berliner Freunde die Lektion aus dem historischen Debakel sehr schnell lernen“.
Erwartungsgemäße Zustimmung der Delegierten heimste er für seine Abrechnung mit der „kaltherzigen und arroganten“ Politik des CDU-Senats ein. Wegen der angekündigten Schließung eines Frauenhauses und der Streichung von Kinderkuren forderte Petersen den Staatsrat der Sozialbehörde, Klaus Meister, zum Parteiaustritt auf. Der einzige vom Senat in einer Behördenleitung belassene Sozialdemokrat müsse „sich jetzt entscheiden, auf welcher Seite er steht“.
Zu Beginn des Parteitages hatte der scheidende Vorsitzende Olaf Scholz sich für eine Fortsetzung der Agenda 2010 eingesetzt, „selbst wenn diese Reformen vielen Menschen weh tun“. Denn zu „sozialdemokratischer Reformpolitik“ gebe es nur eine Alternative, warnte Scholz: „Die konservative Abrissbirne.“ Mehr als höflichen Beifall erntete er nach vier Jahren als Hamburger Parteichef und zeitweiliger SPD-Generalsekretär nicht.