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Archiv-Artikel

Frauenzimmer nehmen zu

„Gibt es eine Kleiderordnung?“, fragte Salwa. „Solange du nicht im Bikini erscheinst, ist alles okay“, sagte der Chef

AUS DSCHIDDAKARIM EL-GAWHARY

Am Telefon klang sie selbstbewusst. „Komm doch mittags einfach bei mir im Büro vorbei“, lud Salwa Aliresa ohne große Umschweife ein und beschrieb den Weg zu einer kleinen Werbeagentur in der saudischen Rotmeer-Metropole Dschidda. Wie begegnet man(n) einer Frau bei der Arbeit in einem Land, in dem Frauen nicht Auto fahren dürfen, nur mit Zustimmung des Vaters oder Bruders einen Personalausweis erhalten, in der Öffentlichkeit von Kopf bis Fuß in einem schwarzen Umhang, ihrer Abaja, verhüllt sind und per Gesetz als unverheiratete Frauen nur mit einem Anverwandten in einem Zimmer sitzen dürfen?

Die milchig gläserne Eingangstür wirkt modern. Dahinter zieht der kühle Luftstrom der Klimaanlage einen scharfen Trennstrich zwischen Straße und Büro. Die überraschend modern gestylten Schreibtische sind nicht besetzt. Über einem Drehstuhl hängt der gelb-schwarze Schal des lokalen Fußballteams al-Ittiahd. Von Salwa ist nichts zu sehen. Sie ist gerade beten, lautet die kurze Auskunft des Pförtners.

Verwirrung: Wie passen dieses Büro mit seiner dynamischen Atmosphäre, das so auch im Geschäftsbezirk der Londoner Innenstadt liegen könnte, und die streng eingehaltenen Gebetszeiten zusammen? Wird Salwa mir die Hand schütteln?

Mit ausgestreckter Hand biegt sie schließlich um die Ecke. Eine 26-jährige saudische Frau – unverschleiert, gelassen, professionell. Das Fehlen von Abaja und Kopftuch hakt sie gleich ab. „Wie du siehst, sind hier alle Wände aus Glas, da wäre es doch affig, ständig die Abaja an- und auszuziehen, je nachdem, wer ins Büro kommt“, sagt sie.

Salwa ist westliche Büroluft gewohnt. Sechs Jahre lang hat sie zunächst in England studiert und dann bei der drittgrößten britischen Werbefirma gearbeitet. „Meine Eltern werden ja nicht jünger, also bin ich zurückgekommen“, erzählt sie. Anfangs habe sie Sorge gehabt, ob sie sich überhaupt wieder an das Leben in Saudi-Arabien anpassen kann. „Ich habe meinen Chef gefragt, wie es im Büro mit der Kleiderordnung steht“, erinnert sie sich. Seine Antwort war auch für sie überraschend: „Solange du nicht im Bikini erscheinst, ist alles in Ordnung.“

Auch ihre anfängliche Furcht, als Frau bei der Arbeit nicht anerkannt zu werden, erwies sich bisher als unbegründet. „Das Gegenteil ist der Fall, es sind ausgerechnet die Konservativen mit Bärten, deren Frauen verschleiert von Kopf bis Fuß auf der Straße hinter ihnen laufen, die meine Arbeit ganz besonders zu würdigen wissen“, erzählt Salwa.

Allerdings sind Frauen wie Salwa immer noch die große Ausnahme im islamisch-konservativen Königreich. Die Hälfte der Bevölkerung und über die Hälfte aller gymnasialen Schulabgänger sind weiblich – und doch stellen Frauen gerade einmal fünf Prozent der Arbeitskräfte, meist im Erziehungswesen. Tendenz allerdings steigend.

Salwas Vorteil ist ihre westliche Berufserfahrung. Sie beeindruckt ihre Kunden durch britisches Marketing-Flair. „Morgens arbeite ich an einer lokalen Cola-Sorte und abends für Schokolade“, lacht sie. Zwischendrin studiert sie die Reklamewünsche eines privaten Mädchengymnasiums. „Ich bin ein Workoholic“, antwortet sie auf die Frage, was sie nach der Schokolade und verrichteter Arbeit unternimmt. Dann vermisst sie schon mal einen Abend im Kino. Die sind in Saudi-Arabien verboten. Auch dem Joggen durch die englischen Parks trauert sie nach, und gelegentlich, sagt sie, möchte sie einfach einmal in ein Auto steigen und losfahren genauso wie in England.

Aber, sagt sie, „es gibt wichtigere Dinge im Leben, als Auto zu fahren, ins Kino zu gehen oder den Zwang, auf der Straße eine Abaja zu tragen“. Ihre Religion ist ihr wichtig. Dabei gehe es aber darum, „ein gutes, ein ethisches Leben zu führen und nicht um die bloße Äußerlichkeit, dass du 70 Millionen Mal am Tag betest oder verschleiert bist“.

Als Ausgleich zur Arbeit trainiert Salwa zweimal pro Woche für eine lokale Frauenbasketballmannschaft, die in einer informellen Liga gegen 15 weitere Teams in Dschidda konkurriert. Dieses Jahr sieht es besonders gut aus. Ihr Team, die „Jaguare“, hat sich direkt hinter die „Zauberinnen“ auf Platz zwei geschoben. „Letztendlich ist es vollkommen egal, wo du als Frau lebst“, sagt Salwa, „am Ende kommt es darauf an, was du aus deinem Leben machst.“

Nicht weit von Salwas Büro entfernt liegen die Redaktionsräume der Arab News, einer von zwei englischsprachigen Tageszeitungen des Landes. Hier, in einem eintönigen Großraumbüro, schreibt Abir Mischkhas ihre Frauenkolumnen. Als sie vor zwölf Jahren als zweite Frau in der Redaktion anfing, saß sie noch in einem „Nur für Frauen“-Zimmer, neben dem Großraumbüro. Die Arbeit wurde gebracht und wieder abgeholt. Das „Frauenzimmer“ gibt es noch immer, aber die inzwischen sieben Mitarbeiterinnen von Arab News bewegen sich inzwischen frei in allen Büros – allerdings noch mit Abaja und der Tarha, dem traditionellen Kopftuch.

„Man kann nie wissen“, sagt Abir, im zweiten Stock befindet sich die Zeitschrift Der Muslim, und vielleicht kommt doch einmal jemand in der Redaktion vorbei, sieht die offene Arbeitsweise und beschwert sich anschließend „beim Ministerium“, wie die Religionspolizei unauffällig genannt wird.

Aber insgesamt haben sich die Leute an Journalistinnen gewöhnt, Abir spürt das auch draußen bei Recherchen. „Mal abgesehen von ein paar wirklich Konservativen, die es bevorzugen, mit mir nur am Telefon zu sprechen“, erzählt sie. Und manchmal haben die Reporterinnen Probleme auf offiziellen Terminen, wenn sie nicht zur Pressekonferenz durchgelassen werden.

Abir, die Tochter eines saudischen Diplomaten, die in Kairo aufgewachsen ist, gibt nicht so leicht auf. In ihren Kolumnen fordert sie bessere Karrierechancen für Frauen und wendet sich gegen den sozialen Druck aus den Familien, der vielen Frauen die Bewegungsfreiheit und das Reisen einschränkt.

Insgesamt, meint sie, seien die Frauen im saudischen Arbeitsleben auf dem Vormarsch. Früher seien es ein paar wenige Frauen gewesen, die sich selbst beweisen wollten. Zu Zeiten der rollenden Petrodollars in den 70er- und 80er-Jahren hatte es niemand nötig zu arbeiten. Heute, wo selbst das Land des schwarzen Goldes unter Arbeitslosigkeit leidet und die Löhne sinken, treibt es immer mehr Frauen auf den Arbeitsmarkt. Sie wollen ihre Familien unterstützen, aus rein wirtschaftlicher Notwendigkeit.

Abir stammt aus einem offenen, liberalen Hause. Die Anträge für Reisen ins Ausland werden stets von ihrem Vater unterschrieben und auch als sie den Jon bei der Zeitung bekam, hatte sie seine volle Unterstützung. Sie findet es schlicht ärgerlich, dass sie bis heute für jeden Schritt, den sie unternimmt, die offizielle Zustimmung eines männlichen Verwandten benötigt. „Du hast immer einen größeren Bruder, der dir über die Schultern guckt“, beschreibt die 36-Jährige dieses ungute Gefühl.

Auch das Fahrverbot für Frauen macht ihr ganz persönlich zu schaffen. „Bei meinen chaotischen Arbeitszeiten, die oft bis spät nachts andauern, muss ich manchmal das ganze Universum in Bewegung setzen, damit mich jemand fährt“, klagt sie. Öffentliche Verkehrsmittel gibt es nicht. Frauen, die mit Taxis fahren, würden wie Prostituierte angesehen, und einen Fahrer anzustellen würde einen guten Teil ihres Gehaltes verschlingen. Manchmal beschwert sich ihr Chef darüber, dass sie zu spät kommt. Ihre einfache Antwort lautet dann: „Ich bin eine Frau, die in Saudi-Arabien arbeitet und nicht Auto fahren darf, was erwarten Sie?“

Abends, nach getaner Arbeit, trifft sich Abir mit Kolleginnen und einigen anderen Journalistinnen im „Nakhil“, eines von jenen Cafés und Restaurants in Dschidda, in denen Männer und Frauen zusammensitzen können, ohne dass viele Fragen gestellt werden. Eine warme Brise weht von der nur wenige hundert Meter entfernten Küstenstraße entlang des Roten Meeres. Über ein paar Wasserpfeifen und Zitronensaft mit Minze diskutieren sie über die letzten Anschläge, die wirtschaftliche Lage und die Arbeit.

Das westliche Bild der machtlosen saudischen Frau geht ihnen genauso auf die Nerven wie jene Saudis, die sie hinter den Herd wünschen. „Das ist eine schizophrene Gesellschaft“, fasst Abir zusammen. Den einen ist Saudi-Arabien nicht offen genug, andere beklagen sich, dass ihr Land seine konservativen Werte langsam aufgebe und sich vom „wahren Islam“ abwende.

Frauen wie Salwa, Abir und die anderen Journalistinnen am Tisch, sie alle haben inmitten der islamisch-konservativen, männerdominierten Gesellschaft ihre persönlichen Nischen gefunden. Für viele von ihnen gleicht das tägliche Leben zwischen professionellen Ansprüchen und der traditionellen Wirklichkeit einer Zerreißprobe. „Immer wenn ich nach den Ferien nach Saudi-Arabien zurückkomme, habe ich Antidepressiva im Handgepäck“, erzählt eine junge Journalistin am Tisch.

Salwa gibt sich dagegen stur optimistisch: „Meine Generation junger städtischer Frauen sitzt nicht mehr zu Hause und wartet auf bessere Zeiten. Sie nehmen ihr Leben in die eigene Hand“, sagt die Werbefrau im Brustton der Überzeugung. Ihr Blick haftet dabei fest an ihrem Gegenüber, fast so, als wolle sie auch diese Idee vermarkten – gegen allen Widerstand zu Hause, gegen alle Vorurteile im Ausland.