: Baumeister Bin Laden
DAS SCHLAGLOCH VON KLAUS KREIMEIER
Um 1930, etwa 80 Jahre nach Erfindung des Fahrstuhls, begann in New York das Wettrennen um die Überbietung des Eiffelturms. Den Anfang machte das Empire State Building (381 m), noch im Art-déco-Stil, es folgten die fantasielosen Container des World Trade Centers (417 m) und schließlich der Röhrenbau des Sears Towers in Chicago (442 m).
Feierte das Empire State noch den Triumph der US-amerikanischen Ökonomie über die Weltwirtschaftskrise und den Start in Franklin Delano Roosevelts New-Deal-Politik, so ragen heute die Wahrzeichen der Globalisierung nicht mehr von amerikanischem Boden ins Blaue. Der derzeit größte Wolkenkratzer der Welt steht in Kuala Lumpur, Malaysia: die Petrona Towers, 452 Meter hoch. Ende dieses Jahres wird das Financial Center in Taipeh vollendet werden und 508 Meter in die Höhe streben. Auch was den Höhenrausch der Architekten betrifft, haben asiatische Finanzoligarchen das Erbe der klassischen westlichen Industriemagnaten angetreten.
Ein orientalischer Erbschleicher könnte bald die Nase vorn oder vielmehr ganz oben haben. Ein mächtiger Kasten, weitaus höher als alle früheren und heutigen kapitalistischen Kathedralen, soll in Dubai errichtet werden, 160 Geschosse umfassen und mindestens 560 Meter hoch in den wolkenfreien Himmel über den Vereinigten Arabischen Emiraten schießen. Den Zuschlag für die Ausführung hat – so meldeten arabische Zeitungen neulich auf ihrer ersten Seite – die Bin Laden Construction Group erhalten. Die Nachricht sorgt für einige Nervosität. Die Bin Ladens sollten sich besser aus dem Wolkenkratzer-Geschäft heraushalten, meint zum Beispiel der Publizist und ehemalige Politik-Professor Mamoun Fandy in einem Kommentar des Pacific News Service.
Ussama Bin Laden, das längst enterbte schwarze Schaf der Familie, hat mit der Vernichtung des World Trade Centers ein Zeichen des Schreckens von zuvor unbekannter Dimension gesetzt und die Wirkungsmacht des Terrors in Perfektion vorgeführt. Bis heute nicht messbar sind die weltweite Schockwirkung des Anschlags und ihre Folgen. Am 11. September 2001 wurden nicht nur fast 3.000 Menschenleben auf einen Schlag ausgelöscht – es wurde das Nervensystem der Menschheit attackiert. Einst wurden Wolkenkratzer protzigen Träumen nachgebaut. Wer heute in die Höhe baut, baut gegen einen Albtraum an.
Vielleicht ist das bereits durch seine Investmentgeschäfte mit George Bush sen. einschlägig bekannte Familienunternehmen der Bin Ladens vom Wunsch geleitet, der Welt zu demonstrieren, dass es den Aufbau auf seine Fahnen geschrieben hat, während der ausgestoßene Bösewicht die Zerstörung sucht. Vielleicht will die Firma ein Zeichen dafür setzen, dass sie mit eben jener in Beton gefügten, chromstahlglitzernden Welt des Westens im Bunde sei, die ein fehlgeleitetes Clanmitglied im Namen Allahs zu vernichten trachtet. So gesehen, wäre das Projekt von Dubai als Sühnezeichen zu lesen: als Symbol einer beschwörenden Abbitte, als eine an die Weltbevölkerung ausgestellte Gutschrift, die der Konzern zur Rettung seines in Verruf geratenen Namens in den Himmel schreibt. Ein Zeichen der Demut – freilich eines, das zugleich alle Rekorde bricht.
Die arabischen Zeitungen spekulieren jetzt darüber, ob das monströse Bauwerk von Dubai nicht nur ersetzen, sondern übertrumpfen soll, was vor bald drei Jahren in South Manhattan in einem Feuersturm endzeitlichen Ausmaßes zugrunde ging. Sie rätseln, ob mit dem Turm, der dort entsteht, eine neue Weltfinanzzentrale geplant ist, die nicht nur das ehemalige World Trade Center, sondern auch Wall Street und ihren Mythos überstrahlen soll. Oder ob gar – während das Öl teurer und allmählich unbezahlbar wird – die Golfstaaten noch einmal ein Zeichen für ihren Aufstieg setzen und dem Rest der Welt zeigen wollen, was eine energiepolitische Harke ist. Dann könnte das „Burj Dubai“ genannte Ungetüm einer Krise vorausleuchten, gegen die sich der Schwarze Freitag von 1929 als unbedeutende Störung ausnimmt.
Einige Auguren machen darauf aufmerksam, dass dieselben arabischen Banken, die jetzt die Finanzierung des neuen Wolkenkratzers betreiben, vor nicht allzu langer Zeit noch auf dubiosen Wegen die Terrorfabrik von al-Qaida subventioniert haben. Sie erinnern daran, dass die Bin Laden Construction Group auch immer wieder in den Islam als ideologisches Großprojekt investiert hat – etwa als es darum ging, die Moscheen von Mekka und Medina in neuem Glanz erstehen zu lassen oder die Straßen zwischen den heiligen Stätten zu erneuern. „Islamischer Symbolismus“ gehörte stets zur Produktpalette jenes Unternehmens, das heute als Global Player agiert. Jetzt stellt man sich in der arabischen Welt die Frage, ob das megalomane Bauvorhaben von Dubai die geheime Verbindung zwischen den islamischen Visionen der Dynastie und dem islamistischen Fundamentalismus ihres Außenseiters verwischen oder womöglich entlarven werde.
Gewiss: Ussama Bin Laden hat das Renommee seiner Familie nachhaltig ruiniert. Geht man jedoch von der betriebswirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Rechnung aus und nimmt das Effizienzprinzip zur Richtschnur, so entpuppt sich der mutmaßliche Drahtzieher der Anschläge vom 11. September als authentischer Spross einer erfolgreichen Firma. Mit einem vergleichsweise geringen Aufwand von einer Million Dollar haben die Terroristen einen wirtschaftlichen Schaden angerichtet, der nach den Berechnungen der Ökonomen in einige hundert Milliarden geht. Finanzielles Kalkül, strategische Unternehmenskonzepte, ökonomische Muskelstärke und nicht zuletzt Synergieeffekte haben den Investment- und Baukonzern Bin Laden im globalen Geschäft ganz nach oben gebracht – und eben dies lässt sich auch vom Terrorkonzern al-Qaida sagen.
Von der Projektfinanzierung über die generalstabsmäßige Planung bis zur Ausführung, sprich: Produktgestaltung, ja bis zum globalen Marketing weisen Aufbau und Zerstörung dieselben Strukturen auf. Es sind die sattsam bekannten Strukturen des Kapitalismus, dessen enorme Dynamik sich schon immer aus dem dialektischen Verhältnis von Herstellen und Zertrümmern, Industrie und Krieg, Güterproduktion und todbringender Gütervernichtung genährt hat. War es im 20. Jahrhundert der Krieg, so ist heute der Terror ein zentraler Faktor der politischen Ökonomie. Konstruktion und Dekonstruktion bilden deren Geschäftsgrundlage und drängen unter den Bedingungen der Globalisierung nach global lesbaren Symbolen.
Als der computergenerierte Entwurf des Bin-Laden-Skyscrapers in einer arabischen Zeitung abgedruckt wurde, lief so manchem Betrachter ein Schauer über den Rücken: Der metallisch schimmernde, von weißen Lichtstrahlen aus dem Nachthimmel modellierte Turm erinnerte auffallend an die virtuelle Rekonstruktion der dahingesunkenen Twin Towers in jener Märznacht 2002, als Amerika und die Welt, ein halbes Jahr nach dem Inferno, noch einmal zum Ground Zero blickten. Zwei Geisterbilder, die ohne die Realbilder vom 11. September nicht zu denken wären.