: Rot-Rotgrün soll Island retten
Sozialdemokraten sollen unter Führung der bisherigen Sozialministerin Jóhanna Sigurdardóttir eine Übergangsregierung bilden, die von der Partei „Linke und Grüne“ unterstützt wird. Die rot-grüne Partei liegt bisher in Meinungsumfragen vorn
VON REINHARD WOLFF
Bis zu baldigen Neuwahlen soll eine rot-rotgrüne Übergangsregierung Island aus der politischen Krise führen, die mit der Finanzkrise begann und in deren Folge die Regierung unter Ministerpräsident Geir Haarde am Montag nach massiven Protesten zurücktreten musste. Staatspräsident Ólafur Ragnar Grímsson beauftragte am Dienstag die Sozialdemokraten mit der Regierungsbildung. Ministerpräsidentin soll die bisherige Sozialministerin Jóhanna Sigurdardóttir werden.
Die oppositionellen „Linken und Grünen“ kündigten nach einigem Zögern an, sich an einer solchen Regierung beteiligen zu wollen. Dieser Aufgabe konnten sie sich angesichts der Krisensituation nur schwer verschließen, laufen aber Gefahr, bis zu Neuwahlen unpopuläre Entscheidungen mittragen zu müssen.
Noch liegt die rotgrüne Partei in Umfragen bei einer vorausgesagten Verdoppelung ihres Stimmenanteils auf über 30 Prozent weit vorn. Die Partei hat die Finanzexzesse der isländischen Banken als Erste kritisiert, lange vor einem drohenden Kollaps gewarnt und sich nach dem Crash sofort auf die Seite der Protestbewegung gestellt. Jetzt fordert sie, dass die Finanzjongleure, die Island an den Rand des Staatsbankrotts gebracht haben, mit ihrem Privatvermögen haften sollen oder dieses zumindest vorübergehend eingefroren wird.
Konkurrenz könnte allenfalls von der Protestbewegung selbst drohen. „Volkes Stimme“, „Neue Zeiten“ und die anderen Graswurzelorganisationen, die sich im Laufe der Demonstrationen gebildet haben, diskutieren, ob sie sich für die spätestens im Mai anstehenden Neuwahlen mit einer gemeinsamen „Protestliste“ stellen sollen. Fraglich ist aber, ob die Zeit dafür nicht zu kurz ist. Debattiert wird zudem auch, welchen Spielraum eine neue Regierung eigentlich hat.
Der internationale Währungsfonds (IWF) hat als Bedingung für seine Kredite mit der bisherigen konservativ-sozialdemokratischen Koalition eine Hochzinspolitik, massive Einsparungen bei den öffentlichen Ausgaben und vor allem kräftige Einschnitte im Sozialsystem vereinbart. Diese Bedingungen werde man versuchen umzuverhandeln, verspricht Drífa Snædal, Parteisekretärin der „Linken und Grünen“. Doch der IWF hatte zuletzt am Montag deutlich gemacht, dass seine Kredite an Reykjavík von einer „angemessenen Politik“ der dortigen Regierung abhängig sind.
Die zwischenzeitliche EU-Begeisterung der IsländerInnen ist mittlerweile deutlich abgekühlt. Im Gefolge der Finanzkrise und der abstürzenden Landeswährung hatte sich eine Mehrheit für einen EU-Beitritt und eine möglichst schnelle Euro-Einführung ausgesprochen. Nun liegen wieder die EU-GegnerInnen vorn. Deren Befürchtung: Brüssel werde mit einem EU-Beitritt Zugriff auf den einzigen noch verbliebenen Reichtum Islands, die Fischressourcen, nehmen. Eine Volksabstimmung zur Frage, ob das Land einen EU-Beitrittsantrag stellen soll, dürfte es aber auf jeden Fall geben, unabhängig davon, welche Konstellation die Regierung stellen wird.