: Zivildienst wird abgerüstet
Wenn weniger junge Männer durch den Schlamm robben, lesen auch weniger junge Männer im Altersheim vor: Die Zivildienststellen werden durch neue Entscheidungen des Bundes drastisch reduziert. Mit weitreichenden Folgen
taz ■ Zehn kleine Kinder klammern sich lachend und kreischend an Holger Schwecke*. Offiziell ist der Zivildienstleistende zwar als Hausmeister bei der Bremer Kindergruppe angestellt, aber in Wirklichkeit entlastet er die beiden Erzieherinnen, die sonst mit eineinhalb Stellen für 21 Kinder einen harten Job hätten. Trotzdem müssen die beiden wohl bald auf die dritte Kraft verzichten.
Von den 1.724 Stellen, die es in Bremen und Bremerhaven für Zivildienstleistende gibt, sind zur Zeit gerade mal 525 besetzt. Im Frühjahr 2002 waren es noch über 1.200. Das liegt nicht etwa daran, dass es zu wenig Kriegsdienstverweigerer gibt. „Es gibt genügend Verweigerer, aber das Geld reicht nicht“, sagt Rüdiger Löhle, Sprecher der Bundesamtes für den Zivildienst knapp. Seitdem Familienministerin Renate Schmidt Anfang des Jahres die Kontingente weiter zusammengestrichen hat, bleiben immer mehr Stellen vakant. Und es kommt noch dicker: Jüngst hat die Ministerin verkündet, dass die Dauer des Ersatzdienstes dem des Wehrdienstes angeglichen wird und dann nur noch neun Monate dauert. Und weil Verteidigungsminister Peter Struck in den kommenden Jahren noch weniger Leute zum Wehrdienst einziehen will, können aus Gründen der Gerechtigkeit auch weniger junge Männer zum Ersatzdienst verpflichtet werden. „Im Fall der Kindergruppe kann das schon an die Substanz gehen“, beschreibt Löhle die absehbaren Folgen.
„Die Unsicherheit bei den Trägern ist groß“, weiß auch Ingelore Rosenkötter, Landesgeschäftsführerin des Roten Kreuzes. Die Zivis sind hier hauptsächlich im Bereich der Pflegebegleitung und der Behindertenbetreuung tätig. „Man darf die Reduzierung der Zivildienstleistenden nicht mit dem Pflegenotstand verkoppeln“ warnt sie, „aber bestimmte Zusatz-Leistungen werden wir nicht aufrechterhalten können“. Rüdiger Löhle vom Bundesamt konkretisiert: „Der Mensch ist weiter versorgt, aber ob die alte Frau nochmal durch den Park geschoben wird oder der Behinderte eine Begleitung fürs Theater kriegt, ist ungewiss“.
Dennoch bleibt der Aufschrei aus. Warum, weiß Anke Teebken, Sprecherin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, in dem rund 180 soziale Organisationen in Bremen und Bremerhaven zusammengeschlossen sind, von der Kindergruppe bis zum Seniorenheim: „Man kann auf den Zivildienst schon längst keine Institution mehr stützen“, sagt sie. Und: „Wer klug ist, hat längst umgesteuert auf geringfügig Beschäftigte oder hat Ehrenamtliche geworben.“
Seit mehr als einem Jahrzehnt werde der Zivildienst abgeschmolzen. 1990 dauerte er noch 24 Monate, aktuell liegt er bei zehn Monaten. Waren beim Paritätischen Wohlfahrtsverband 1990 noch 75 Zivis in der Schwerbehindertenbetreuung, sind es heut noch drei. Auch die Eigenbeteiligung der Träger wurde immer höher: Mittlerweile kostet ein Zivi rund 450 Euro im Monat. Beim Paritätischen sind derzeit von 440 Zivi-Plätzen nur 100 besetzt. „So wenig war das noch nie“, sagt Teebken.
„Die Einsatzstellen hätten sich auf diese Situation vorbereiten können“, kommentiert Hans-Jürgen Wiesenbach die Zahlen. Er hat in doppelter Hinsicht mit dem Thema Ersatzdienst zu tun. Einerseits ist er als Geschäftsführer des Diakonischen Werks zuständig für mehr als 30 Institutionen vom Krankenhaus bis zur Frauenhilfe, die ihm ihr Leid klagen über die Schwierigkeiten, Zivildienststellen zu besetzen. Andererseits ist Wiesenbach im Vorstand der Zentralstelle für Kriegsdienstverweigerer, die soziale Dienste lieber freiwillig verankern würden als in staatlichen Zwangsrekrutierungen. „Jede Einsatzstelle muss wissen, dass es kein Recht auf eine Zivildienststelle gibt“, mahnt er. Probleme sieht Wiesenbach kurzfristig aber auch: „Die individuelle Schwerstbehindertenbetreuung ist ja quasi eingerichtet worden, damit es Stellen für Zivildienstleistende gibt“, erinnert er sich. „Heute wissen wir, dass das sinnvoll ist und nicht wegbrechen darf“. Sein Vorschlag lautet, dass die Mittel für den Zivildienst in Übergangslösungen im Niedriglohnbereich gesteckt werden. Wiesenbach rechnet vor: „Auf zehn Zivis könnten dann sieben Arbeitsplätze kommen“.
*Name geändert
Elke Heyduck