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Archiv-Artikel

„Das Jackett ausziehen? Niemals.“

Dottore Umberto Angeloni ist Genießer, schreibt Bücher über Whiskey oder die Blume im Knopfloch – und kleidet nebenbei James Bond, Kofi Annan und den Kanzler ein. Der Chef von Brioni über Eleganz, Stil und Kleidung in der Politik

INTERVIEW ARNO FRANK

taz: Herr Angeloni, warum tragen Sie denn heute keine Blume im Knopfloch?

Umberto Angeloni: Weil ich nicht genug Zeit hatte, eine zu stehlen.

Stehlen Sie sie immer?

Immer, immer. Vor allem in Hotels. Es wäre ja auch nicht angemessen, zu einem Floristen zu gehen, nur um eine einzige Blume zu stehlen.

Hängt die Art der Blume von Ihrer Stimmung ab?

Nein, vom Stil der Kleidung.

Aber der hängt von der Stimmung ab!

Nein, vom Anlass. Nie von der Stimmung.

Und vom Portemonnaie. Was kostet der graue Anzug, den Sie da tragen?

4.000 Euro. Es ist ein Maßanzug, geschneidert, um Macht und Geld zu repräsentieren. Günstigstenfalls auch beides.

Ich repräsentiere eine linke Tageszeitung und trage Cord …

Das ist in Ordnung. Journalismus ist ein kreativer, künstlerischer Beruf. Und für Künstler gibt es nur sehr wenige Anlässe, Anzüge zu tragen. Mein klassischer Maßanzug ist ein Ausdruck von Macht in der Geschäftswelt, deswegen nenne ich ihn „power suit“. In den Künsten gibt es kein Äquivalent zur Macht, sondern höchstens den Wunsch nach Ausdruck von Kreativität. Also gibt es wenig Raum für einen Maßanzug in ihrer Welt.

Der Anzug ist die Uniform der Globalisierung. Im englischen Sprachraum sind „the suits“ die Leute, die die Entscheidungen treffen …

Und darüber hinaus ist er ein Verweis auf bestimmte moralische oder soziale Wertvorstellungen seines Trägers, die ich als eher konservativ bezeichnen möchte.

Wo Sie, wenn Sie denn Zeit zum Stehlen finden, eine Blume ans Revers stecken, prangt bei George W. Bush immer ein kleines Sternenbanner. Wie interpretieren Sie das?

Es ist ein ungewöhnliches Zeichen, das der Präsident da seinem Anzug quasi vorschaltet. Dieser Button ist eine permanente Zurschaustellung von flachem Nationalstolz, simplem Patriotismus, Macht und der Lust, diese auch auszuüben, und damit ein peinliches Zeichen von Arroganz.

Wenn Sie das Gruppenfoto der Staatsmänner auf dem G-8-Wirtschaftsgipfel betrachten, erkennen Sie Brioni-Träger?

Das erkennt jeder ganz leicht daran, dass die Anzüge in der Regel besser passen, weil die eben maßgeschneidert sind.

Auf Sea Island war die Kleiderordnung eher lässig.

Ja, und zwar auf Anordnung von Präsident Bush, der davon nun gar nichts versteht. Keine Krawatten und solche Sachen. Und dann passiert das Entsetzliche und wir sehen Tony Blair in einem lockeren, hässlichen Hemd herumspazieren – das war ganz und gar nicht angemessen.

Warum? Es sollte doch der Eindruck erweckt werden, die hohen Herren seien entspannt und verstünden sich prächtig.

Schrecklich. Als stünden diese Staatsmänner den Sorgen der einfachen Leute nahe! Was wir dort sahen, das war eine geheuchelte Zurschaustellung demokratischer Werte. All diese Werte sollten die Politiker in ihren Worten und Taten zeigen – nicht in der Art und Weise, wie sie sich gegenseitig und das Publikum mit ihrer verlogenen Kleiderordnung betrügen.

Warum Betrug? Ist es nicht einfach nonverbale Kommunikation? Was ist dagegen einzuwenden, wenn sich Politiker ihr Jackett ausziehen, um sich auf informellerer Ebene zu verständigen?

Nein, das Jackett auszuziehen bedeutet doch nicht informelle Eleganz! Das Jackett auszuziehen, das bedeutet eine Form von Entblößung. Also ist es in diesem Kontext absolut falsch.

Wann wäre es denn richtig?

Niemals. Ich erinnere mich, als all die Staatsmänner in das Kosovo gereist sind, um die Truppen zu besuchen. Und alle haben sie es falsch gemacht. Tony Blair beispielsweise hat nicht nur sein Jackett und seine Krawatte ausgezogen, sondern auch noch die Ärmel hochgekrempelt. Als Soldat wäre ich extrem beleidigt gewesen: „Warum meinen Sie, kein Jackett oder eine Krawatte zu brauchen, wenn Sie mit mir reden?“

Wer macht es denn richtig?

Kofi Annan, ein Mann, den ich sehr bewundere. Er ist ein langjähriger Brioni-Kunde und rief mich an: „Herr Angeloni, ich muss im Kosovo die Truppen besichtigen. Ich will einerseits Respekt zeigen, andererseits aber auch keine Uniform tragen.“

Und wozu rieten Sie ihm?

Er trug Hemd und Krawatte, und dazu schneiderten wir ihm ein spezielles Safari-Jackett, beige, das aus der Tradition kolonialer Outdoor-Kleidung kommt. So war er der Situation angemessen gekleidet, elegant – und zeigte den nötigen Respekt.

Wer findet denn außerdem noch Gnade in Ihren Augen?

Nelson Mandela. Nicht weil er Brioni trägt, sondern wegen seines bunten Mariba-Hemdes. Es repräsentiert bei bestimmten Anlässen seine Herkunft, seine Kultur, das ist gut. Uniformen sollen nicht zu uniform sein. Der Anzug mag die weltweit akzeptierte Herrenbekleidung sein, aber er ist nicht unabhängig von lokalen Einflüssen.

Was ist denn spezifisch italienisch an Brioni?

Die Tradition unseres Hauses geht auf die britische Mode zurück, auf die Savile Row, diese Straße der Schneider in London. Dort wurde der Anzug, wie er im 20. Jahrhundert quasi Karriere machte, erfunden. Und dort gingen auch die Brioni-Gründer in die Lehre.

Der Unterscheid?

Britische Anzüge sind heute noch wie mächtige Rüstungen, italienische eher bequem und elegant. Wissen Sie, was „Anzug“ auf Japanisch heißt? „Sabiru“, und das ist eine lautmalerische Übernahme von „Savile Row“ – es ist die akzeptierte Kleidungsform für Männer mit Macht. Was nicht heißt, dass es eine Uniform sein muss. Das hängt vom Repertoire an Accessoires ab, die dem Mann zur Verfügung stehen.

Schlips oder Fliege?

Schlips! Die arme Fliege ist das Überbleibsel einer untergegangenen Epoche. Heute wird sie mit Kreativität assoziiert, einfach, weil sie so ungewöhnlich ist. Und zu einem Smoking übrigens müssen Sie eine Fliege tragen, Schlips geht da nicht.

Wird der Anzug bleiben – oder auch einmal aus der Mode kommen?

Es gibt den Anzug, wie wir ihn kennen, unverändert seit etwa 200 Jahren, abgesehen von stilistischen Variationen. Ich halte den Anzug für den ultimativen, den letzten Schritt in der Evolution der Herrenbekleidung.

Warum?

Manche meinen, weil Männer einfach konservativ sind.

Und Sie?

Ich meine, nichts bringt den männlichen Körper besser zur Geltung als ein gut geschnittener, bequemer Anzug. Das Modell ist nicht zu verbessern, sondern zeitlos. Und könnte doch auch moderner nicht sein.

Schätzen Sie den Hosenanzug für Frauen?

Nur dort, wo Frauen in einer Machtsituation sind oder mit Männern um Macht konkurrieren, sollten die Stilmerkmale des maskulinen Anzugs ins Feminine transferiert werden.

Sähen Sie gerne mehr Männer in Röcken, wie Sie etwa der japanische Designer Yamamoto fordert?

Nein! Sie etwa? Röcke für Männer, das sind Kilts, sonst nichts. Perfekt für folkloristische Situationen, keine Frage. Das gilt auch für kurze Hosen, die nur in eng begrenzten Bereichen akzeptabel sind. Männerbeine sind nicht unbedingt ein ästhetischer Genuss. Auf Reisen und zu Hause zeigt sich, ob ein Mann elegant ist oder nicht. Vor allem in der Freizeit zeigt sich leider auch, dass die meisten Männer absolut keinen Schimmer haben, was sie tragen können.

Was ist denn modischer Geschmack anderes als geschickte Selbstvermarktung?

Eleganz bedeutet, dass ich mich selbst mag. Der Schlüssel dazu ist erstens das Vergnügen, der Genuss. Was bedeutet es, wenn ich mich an einem ästhetischen Schnitt erfreuen oder das Gefühl eines guten Stoffes auf der Haut genießen kann? Jedes Lebewesen, ausnahmslos jede Kreatur strebt nach sinnlichen Annehmlichkeiten. Eleganz ist nie an irgendwelche Regeln und Konventionen gekoppelt, sondern speist sich aus einer spielerischen Lust an den Dingen.

Stellen Sie sich vor, ab morgen trügen alle Männer statt Jeans oder Trainingsanzügen nur noch Anzüge – Traum oder Albtraum?

Albtraum.

Warum?

Weil es unmöglich ist. Ich weiß, worauf Sie mit dieser Hypothese anspielen. Luxus ist zwar populär, aber nicht demokratisierbar. Eine Welt, in der jeder Mensch in den Genuss von Luxus kommt, ist deswegen undenkbar, weil der Luxus sein Wesen verlieren würde. Luxus war und ist elitär und nur wenigen vorbehalten. Öffnet er sich der breiten Masse, degradiert er sich selbst zu einer Annehmlichkeit.