STASI-UNTERLAGEN: LEIPZIGER RICHTER MISSACHTEN ÖFFENTLICHKEIT
: Voller Erfolg für Querulanten Kohl

Helmut Kohl ist ein Querulant. Wenn es um seine Stasi-Akten geht, lässt er nicht locker. Und es stört ihn auch nicht, dass er der einzige Politiker ist, der seine Persönlichkeitsrechte durch die Stasi-Aufarbeitung gefährdet sieht. Eher nimmt er in Kauf, dass viele denken, „irgendwas wird schon drinstehen, was nicht rauskommen soll“. Doch auch wenn es um Kohl geht, gilt der kluge Satz von Jutta Limbach: „Es sind oft die Querulanten, die eine Weiterentwicklung des Rechts auslösen.“

Deshalb ist das von Kohl erwirkte restriktive Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nicht von vornherein abzulehnen. Immerhin ist der Umgang mit den Stasi-Unterlagen diffizil. Sie wurden von Spitzeln mit Methoden zusammengetragen, die die Persönlichkeitsrechte beeinträchtigen. Und sie dienten der Aufrechterhaltung einer Diktatur. Dass ausgerechnet solche brisanten Materialien in Presse und Wissenschaft breit getreten werden sollen, ist nicht selbstverständlich.

Bedenklich ist an der Leipziger Entscheidung daher nicht, dass sie Helmut Kohl nützt, schließlich könnte sich auch jeder andere auf sie berufen. Fragwürdig ist vielmehr, wie geringschätzig die Richter mit Wissenschaft und Presse umgegangen sind. Schließlich kann die Aufarbeitung der Stasi-Geschichte, wenn sie ernsthaft gemeint ist und Wirkung zeigen soll, nur in öffentlicher Debatte erfolgen. Das Bundesverwaltungsgericht scheint sich jedoch eine Aufarbeitung vorzustellen, die im Extremfall (falls plötzlich alle Prominenten Kohls Beispiel folgen) auch ganz ohne Presse auskommt. Und die Wissenschaft soll zwar vereinzelt Anspruch auf Akten haben, diese aber nicht publizieren dürfen. Dies lässt ein seltsames Verständnis von Wissenschaft vermuten, die doch von Transparenz lebt. Helmut Kohl wird jetzt wohl nicht zum Bundesverfassungsgericht gehen. Denn mehr als in Leipzig würde er in Karlsruhe sicher auch nicht gewinnen. Journalisten und Wissenschaftler sollten sich allerdings Gedanken machen, wie sie einen passenden Fall nach Karlsruhe bringen können, um die restriktive Leipziger Linie überprüfen zu lassen. CHRISTIAN RATH