: Arizona statt Altengamme
Hamburg will sozialtherapeutische Haftanstalten schließen. Fachleute: Sexualstraftäter werden in Zukunft ohne ausreichende Behandlung entlassen
Hamburg taz ■ Für Till Steffen, justizpolitischer Sprecher der Grün-Alternativen Liste (GAL), ist es ein „herber Schlag für den Opferschutz“. Mit der von der Hamburger Justizbehörde angekündigten Schließung der sozialtherapeutischen Haftanstalten in den Stadtteilen Bergedorf und Altengamme werde „die Sicherheit der Bevölkerung dem ideologischen Blick geopfert“.
Um 700.000 Euro einzusparen, hatte Justizsenator Roger Kusch (CDU) in der vergangenen Woche angekündigt, die beiden Anstalten sowie die Übergangsanstalt „Moritz-Liepmann-Haus“ zu schließen und den großen geschlossenen Haftanstalten anzugliedern. „In den sozialtherapeutischen Anstalten werden besonders schwere Fälle wie Sexualstraftäter mit einem sorgfältigen Therapiekonzept auf die Freiheit vorbereitet“, weiß der Kriminologe Prof. Dr. Klaus Sessar, selbst Anstaltsbeirat in Altengamme. „Die statistisch belegten, außergewöhnlich niedrigen Rückfallquoten der Entlassenen beweisen eindrucksvoll den Erfolg dieses Konzepts“, sagt er. „Wer die dichtmacht, riskiert für die Zukunft mehr schwere Straftaten.“
Der Kriminologe bezweifelt zudem, dass die Schließung einen einzigen Euro einspart: „Es wird bei den Berechnungen so getan, als hätten die betroffenen knapp 150 Inhaftierten später keine Unterbringung und Betreuung mehr nötig. Die Sozialtherapie lässt sich aber nur mit immensen Kosten verlegen und ist in geschlossenen Gefängnissen so gut wie nicht zu realisieren.“
Dass die Sparargumente nur vorgeschoben sind, enthüllte vor kurzem der Leiter des Hamburger Strafvollugsamtes, Johannes Düwel, bei einer Visite in Altengamme. Düwels Kommentar: „Es geht nicht um Geld, das ist eine politische Entscheidung.“
Der Grüne Till Steffen bewertet die angekündigte Schließung deshalb auch als „bisher gravierensten Schritts Kuschs beim Umbau des Strafvollzugs zu einem reinen Verwahrvollzug“. Für den Justizsenator, der während seiner Amtszeit die Plätze im offenen Vollzug fast halbiert habe, zähle „nur das Wegsperren“. Steffen: „Langfristige Auswirkungen sind Kusch egal; er bekämpft alles, was Verständnis für die Gefangenen zeigt, unabhängig davon, wie erfolgreich es ist.“
Kritik an der angekündigten Schließung kommt auch vom Vorsitzenden des Landesverbandes Hamburgischer Strafvollzugsbediensteter (LVHS), Klaus Neuenhüsgens: „Kusch geht den völlig falschen Weg, der bei Fachleuten nur Kopfschütteln verursacht.“ Neuenhüsgens wirft dem Senator vor, „wider besseres Wissen“ zu handeln.
Vielleicht aber handelt Kusch nicht wider besseres Wissen, sondern schlicht ohne vertiefte Kenntnisse. Während der Justizsenator vor zwei Jahren „im Interesse der Modernisierung des Hamburger Strafvollzuges“ einen Knast im US-Bundesstaat Arizona inspizierte, in dem man die Gefangenen in Ketten arbeiten lässt, ließ ihm sein enger Terminkalender für manch andere Visite offenbar keine Zeit: Die ihm unterstellte Anstalt in Hamburg-Altengamme besuchte Kusch in seiner knapp dreijährigen Amtszeit kein einziges Mal. Marco Carini
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen