: Der Mörder ist ein Minister
Der IStGH hat sein erstes Verfahren eröffnet: Kriegsverbrechen im Kongo zu untersuchen, ist delikat. Nicht nur, weil die Täter in der Regierung sitzen
BERLIN taz ■ Der Internationale Strafgerichtshof hat seinen ersten Fall. Die Demokratische Republik Kongo ist das Objekt des ersten Ermittlungsverfahrens des Gerichtshofs, kündigte Chefankläger Luis Moreno Ocampo am Mittwochabend in Den Haag an. Die Eröffnung des Verfahrens sei „ein großer Schritt nach vorn“.
Der Krieg im Kongo 1998–2003 war einer der blutigsten der Welt, mit geschätzt über 3 Millionen Toten als direkte oder indirekte Folge von Kampfhandlungen allein im Osten des Landes. Da die Zuständigkeit des IStGH auf Taten nach dem In-Kraft-Treten seines Statuts am 1. Juli 2002 begrenzt ist, fällt nur der kleinere Teil der Kriegsverbrechen des Kongo in die Ermittlungen, aber dennoch gibt es genügend Stoff. Allein im nordostkongolesischen Distrikt Ituri forderten Kämpfe zwischen Milizen im Herbst 2002 und Frühjahr 2003 nach Schätzungen von Menschenrechtsgruppen über 5.000 Opfer. Kongo war das Land, das der Strafgerichtshof nach seinem Entstehen 2002 am häufigsten als erstes mögliches Betätigungsgebiet nannte.
Den Weg zur Aufnahme von Untersuchungen hatte Kongos Präsident Joseph Kabila bereits am 2. April freigemacht. Damals forderte er den Gerichtshof offiziell dazu auf, nicht nur in Ituri, sondern in ganz Kongo zu ermitteln. Betroffen sind damit unter anderem auch die anhaltende sexuelle Gewalt von Milizen gegen Frauen in den östlichen Kivu-Provinzen und die jüngsten gezielten Morde an Banyamulenge-Tutsi in der Stadt Bukavu. Theoretisch fallen unter das Mandat des Gerichtshofs auch internationale Geschäftspraktiken, die den Kongokrieg beförderten.
Das schrecklichste einzelne Kriegsverbrechen der in Frage kommenden Zeit war wohl die Einnahme der Kleinstadt Nyankunde mit ihrem für die ganze Region wichtigen Missionskrankenhaus durch Milizen des Ngiti-Volkes am 5. September 2002. Bei mehrtägigen gezielten Tötungen sämtlicher Angehöriger des Hema-Volkes auf dem Klinikgelände und in der Umgebung starben nach Recherchen der Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ mindestens 1.200 Menschen, vermutlich noch viel mehr (taz vom 24. 5. 2003). Einer der mitverantwortlichen Warlords, Mbusa Nyamwisi, ist heute Minister für regionale Kooperation in Kongos Allparteienregierung.
Der Aufstieg von Kriegsverbrechern in die Regierung im Namen des kongolesischen Friedensprozesses macht deutlich, wie delikat die Ermittlungen sein werden. Der Kongo-Friedensvertrag vom Dezember 2002, Grundlage für die Arbeit der seit Sommer 2003 arbeitenden Allparteienregierung, legt eine Amnestie für alle Vorgänge des Krieges „außer Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ fest. Die geltende Übergangsverfassung des Kongo bekräftigt das noch. Ein Amnestiegesetz soll Einzelheiten regeln, ist aber noch nicht verabschiedet. Zugleich gibt es auf dem Papier eine Wahrheitskommission, die alle „Ereignisse, Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen“ seit der Unabhängigkeit des Kongo 1960 untersuchen soll.
Für all das gibt es aber weder Geld noch eine funktionierende Justiz. So findet kurzfristig im Kongo überhaupt keine juristische Aufklärung von Kriegsverbrechen statt. Das macht die Arbeit des IStGH unersetzlich. Die Aufnahme des Verfahrens ist zeitlich geschickt platziert: Die internationale Sorge über einen neuen Krieg im Kongo ist seit den jüngsten Kämpfen im Osten des Landes sehr hoch, die Androhung strafrechtlicher Konsequenzen könnte abschreckend wirken. Erst am Dienstag forderte der UN-Sicherheitsrat Kongos Regierung auf, „mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft Sofortmaßnahmen zu ergreifen, um das herrschende Klima von Straflosigkeit umzukehren“.
Offen bleibt, wie die Ermittlungen ablaufen sollen. Einen Sonderermittler für den Kongo muss der Gerichtshof erst noch ernennen. Seit Monaten schon sammelt die UN-Mission im Kongo allerdings Belastungsmaterial über Kriegsverbrechen, und der Gerichtshof selbst sucht sich derzeit ein Netzwerk von Experten zusammen, um den Ermittlungen zuzuarbeiten. Solange aber im Osten des Landes weiterhin Warlords und Milizen die reelle Macht ausüben, dürfte es schwierig werden, Tatorte zu sichten und Zeugen unter neutralen Umständen zu befragen.
DOMINIC JOHNSON