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Archiv-Artikel

Beispielhafter Freistaat Bayern

betr.: „Der lange Weg zum Wahlrecht“ u. a., taz vom 27. 1. 09

Alles stimmt – bis auf das Datum! Die Aussage, dass Frauen in Deutschland erstmals am 19. Januar 1919 wählen durften, ist falsch. Richtig ist: Erstmals hatten Frauen in Deutschland bei der Wahl zum Bayerischen Landtag am 12. Januar 1919 das gleiche aktive und passive Wahlrecht. Dass die Uhren in Bayern damals vorgingen, verdankt es – nach jahrzehntelangem Kampf der Frauenrechtlerinnen – der Gründung des „Freistaats Bayern“ durch die Revolution. In der Freistaatsproklamation von Kurt Eisner (USPD), dem ersten Ministerpräsidenten, in der Revolutionsnacht vom 7. auf den 8. November 1918 hieß es nicht nur: „Bayern ist fortan ein Freistaat“, sondern ebenso lapidar wie revolutionär: „Eine konstituierende Nationalversammlung, zu der alle mündigen Männer und Frauen das Wahlrecht haben, wird so schnell wie möglich einberufen werden.“ Damit war es passiert.

Die Reichsregierung im zurückgebliebenen Berlin, der „Rat der Volksbeauftragten“, folgte dem bayerischen Beispiel erst vier Tage später, per Dekret am 12. November 1918. Und infolgedessen waren es wiederum die bayerischen Frauen, die bereits am 12. Januar erstmals in Deutschland zur Wahlurne gehen „durften“, mithin eine Woche früher als das jetzt von Merkel bis Schwarzer fälschlicherweise gefeierte Datum der Wahl zur Deutschen Nationalversammlung am 19. Januar 1919. Die Folge: Es war im jungen „Freistaat Bayern“, nicht in Wildbad Kreuth gezeugt, sondern von Linken begründet, dass erstmals auch Frauen in ein deutsches Parlament gewählt wurden. Sieben von 180 bayerischen Abgeordneten waren Frauen.

Unter den Kandidatinnen war die langjährige Vorkämpferin des Frauenwahlrechts Dr. Anita Augspurg, die sich für die USPD zur Wahl stellte. Der Wahlkampf der Frauen war einer, wie es noch keinen gegeben hatte, schreibt Augspurgs Lebensgefährtin Lida Heymann in ihren Erinnerungen „Erlebtes – Erschautes“: „Männer- wie Frauenversammlungen waren überfüllt, aber ihr Verlauf war ein sehr verschiedener. In ersteren herrschte Tabaksqualm, Bierdunst, Lärm, Pfeifen und Schreien; den durch den Krieg verrohten Männern gebrach es an Selbstbeherrschung, Anstand und dem erforderlichen Denkvermögen. Anders die Frauen. Sie zeigten großes Interesse, richteten sachliche Fragen an die Rednerinnen, über Ehe- und Erziehungsrecht der Frau sowie ihre ökonomische Stellung im neuen Staat. Bei einigen Bäuerinnen zeigte sich das Interesse so lebendig, dass sie sich den Rednerinnen anschlossen, mit ihnen durch hohen Schnee ins nächste Dorf stapften. Sie halfen ihnen, trugen Rucksäcke, verteilten die Flugblätter, gingen mit der Klingel von Haus zu Haus, holten die Frauen zur Versammlung. (…) Darauf erschienen katholische Geistliche in den Frauenversammlungen, immer dieselben, auch sie zogen von Dorf, beteiligten sich an der Diskussion, sprachen gegen die Kandidatur einer Anita Augspurg, gebrauchten wieder und wieder die gleichen Argumente: Faselten von der drohenden Gefahr freier Liebe, freier Ehe, dem illegitimen Kinde. In Unterammergau rief nach einer solchen Rede des Geistlichen eine Stallmagd laut und vernehmlich in die Versammlung: ‚Er hat ja selbst drei Uneheliche!‘“ (zitiert nach: Ellen Beumelburg, „Anita Augspurg: Pionierin des Frauenwahlrechts“, in: FREIStaat! Die Anfänge des demokratischen Bayern 1918/19, München 1994, S. 157 ff.)

FRIEDRICH WECKERLEIN, München