: „Lieber sprechende Medizin bezahlen“
Heidi Knake-Werner (PDS) kritisiert die Gesundheitsreform als „Kostendämpfungsgesetz“. Die Gesundheitssenatorin hätte sich mehr strukturelle Veränderungen erhofft – auch um die Berliner Modellprojekte gesetzlich zu stärken
taz: Frau Knake-Werner, man sagt „Arm macht krank“ – werden Berliner aufgrund der höheren Belastung durch die Gesundheitsreform ärmer und kränker?
Heidi Knake-Werner: Die Besserverdienenden sicher nicht, aber bei kleinen und mittleren Einkommen könnten die höheren Kosten finanziell an die Substanz gehen. Wenn Patienten Arztbesuche hinauszögern, weil sie die 10 Euro Eintrittsgebühr nicht zahlen wollen, und sich lieber gleich in der Apotheke rezeptfreie Medikamente holen, die ohnehin nicht mehr von den Kassen bezahlt werden, ist das problematisch. Dadurch können sich schlimmere Krankheiten entwickeln.
Wie kann man das Gesundheitsbewusstsein bewahren?
Es bleibt nur die Möglichkeit, an Patienten zu appellieren, sich möglichst nicht von den Kosten abschrecken zu lassen und die benötigte Versorgung auch in Anspruch zu nehmen.
Wie wird sich mit der Reform die Struktur der Versorgung in Berlin verändern?
Nach den ersten Gesetzentwürfen zur Reform sollten Versorgungsstrukturen effizienter, billiger und trotzdem qualitativ gleich bleibend gestaltet werden. Das hätte eine dauerhafte Reform werden können, die auch für Berlin eine gesetzliche Grundlage geboten hätte für mehr Qualität und Nachhaltigkeit. Der vorliegende Kompromiss ist in dieser Hinsicht enttäuschend.
In Berlin gibt es doch bereits Gesundheitszentren, die nun als medizinische Versorgungszentren neu im Gesetz angeregt werden.
Darüber freue ich mich natürlich. Für die Gesundheitszentren – ehemals Polikliniken, die in Berlin erhalten sind – bedeutet dies eine gesichertere Grundlage. Das gilt ebenso für die Integration von ambulanter und stationärer Versorgung, wonach Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte Verträge und gemeinsame Behandlungspläne aufstellen können zur optimalen Versorgung etwa von chronisch Kranken.
Auch zu dieser Veränderung regt die Reform nur an.
Bei der Integration der Versorgung hätte ich mir tatsächlich mehr erhofft, als vorgesehen ist. Man kann aber sinnvolle Strukturen erproben. Das ist ein guter Ansatz. Ebenso wie die Vorhaben, sowohl den Hausarzt und seine Beratungsfunktion als auch Patientenrechte zu stärken. Sprechende Medizin zu bezahlen ist besser als Apparate zu finanzieren.
Ist das für die Praxis überhaupt noch relevant, wenn wegen der Kosten keiner mehr zum Arzt geht?
Wenn die Menschen krank sind, gehen sie schon zum Arzt. Dies gilt vor allem für die vielen chronisch Kranken. Diese Patienten sind in Zukunft allerdings besonders darauf angewiesen, gut informiert zu sein und die eigenen Rechte zu kennen.
Ein Ziel der Reform ist es, Krankenkassenbeiträge zu senken. Erreichen die überdurchschnittlich hohen Berliner Beiträge damit das Bundesniveau?
Darum bemühen wir uns. Die sogenannte Berlin-Vereinbarung, ein Vertrag zwischen Land und Kassen, wird demnächst neu abgeschlossen. Darin werden wir deutlich machen, dass beide Seiten die Kosten des Gesundheitswesens so eindämmen, dass sich die Beiträge dem Bundesniveau nähern.
Hat die Reform auf die Verhandlung Auswirkungen?
Sie hätte sie erleichtern können. Wir wollen im Krankenhausbereich einsparen und dafür bringt uns diese Reform nichts. Sie öffnet weder die Krankenhäuser für ambulante Behandlungen, noch gibt sie den Kassen die Möglichkeit, Einzelverträge mit Ärzten abzuschließen. All das hätte effizienteres Arbeiten gerade in den kostenintensiveren Bereichen ermöglicht, die Qualität jedoch nicht verschlechtert. Jetzt wird es doch mehr zu einem Kostendämpfungsgesetz.
INTERVIEW: SUSANNE LANG