Wer Kinder auf Umwegen zur Schule fährt, verdient mehr

Das System der Subventionen für den öffentlichen Nahverkehr ist kaum zu durchschauen. Viele Unternehmen tun alles, um Konkurrenz zu verhindern

BERLIN taz ■ Wie viel öffentliches Geld in den deutschen Nahverkehr fließt, weiß niemand so genau. „Objektiv und transparent“ – wie vom Europäischen Gerichtshof gestern gefordert – ist die Finanzierung nicht.

Das Umweltbundesamt (UBA) schätzt, dass die Bus- und Bahnunternehmen jährlich etwa 23 Milliarden Euro einnehmen. Nur ein Drittel davon sind durch den Verkauf von Fahrscheinen gedeckt; der Rest stammt aus vielen verschiedenen Töpfen von Bund, Ländern und Kommunen. Da gibt es Betriebskostenzuschüsse, Hilfen bei der Anschaffung neuer Straßenbahnwaggons und den Bau von Busbahnhöfen, Umsatzsteuerermäßigung, Ausgleichzahlungen für den Transport Schwerbehinderter und und und. „Die Daten über die Zuwendungen an die Verkehrsunternehmen sind nicht öffentlich zugänglich und häufig nicht einmal den Gebietskörperschaften als Eigentümer bekannt“, konstatiert das UBA.

Für die durchaus erklecklichen Summen könnte wesentlich mehr geleistet werden, sind viele Verkehrsexperten überzeugt. Nach wie vor dümpelt der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) in Deutschland bei einem Transportanteil von gerade einmal 8,4 Prozent – während das Auto auf 78,8 Prozent kommt. „Um eine Verlagerung auf den ÖPNV als umweltverträglichen Verkehrsträger zu erreichen, ist eine grundlegende Umstellung der ÖPNV-Finanzierung erforderlich“, heißt es in der UBA-Expertise. Im Klartext: Es geht nicht um mehr Geld vom Staat, sondern um einen effektiverer Einsatz der Mittel.

Bisher gilt überwiegend das Motto: Wer viel Aufwand treibt und z. B. einen teuren U-Bahn-Tunnel baut, bekommt viel. Ob sich dadurch das Verkehrsangebot tatsächlich verbessert, spielt keine Rolle. Auch kann es sich für ein Unternehmen durchaus lohnen, Schüler auf vielen Umwegen durch die Gegend zu kutschieren, weil dadurch die eigenen Einnahmen erhöht werden – auch wenn das weder für die Kinder noch für die Umwelt zuträglich ist. Bemüht sich ein Unternehmen dagegen, die Kosten zu senken oder höhere Erträge durch neue Fahrgäste zu erzielen, werden die öffentlichen Zuschüsse vielerorts gekürzt.

Seit 1996 gibt es in Deutschland im Bus- und Bahnverkehr offiziell Wettbewerb. Das Gesetz unterscheidet dabei zwischen eigenwirtschaftlichem und gemeinwirtschaftlichem Verkehr. Eigenwirtschaftlicher Verkehr kommt offiziell ohne Subventionen aus – und kann insofern von der Behörde genehmigt werden, sobald ein Unternehmen eine Linie anbieten will und nachweisen kann, dass es über ausreichend viele Busse, Fahrer mit Führerschein und einige andere Voraussetzungen verfügt.

Bei gemeinwirtschaftlichem Verkehr dagegen würde sich unter reinen Marktbedingungen kein Unternehmen finden, das den Verkehr betreibt. Weil aber Kinder, Omas und Nichtautobesitzer auch mobil sein sollen, gibt es dafür staatliche Hilfen. Bei solchen Aufträgen muss die Kommune ein Vergabeverfahren durchführen.

Erstaunlicherweise finden solche Vergabeverfahren aber bisher nur sehr selten statt – obwohl ja zwei Drittel des ÖPNV subventioniert werden. Dahinter steckt ein Bilanztrick der kommunalen ÖPNV-Unternehmen, die Konkurrenz gar nicht erst aufkommen lassen wollen. Sie verbuchen alles Mögliche als „Erträge im handelsrechtlichen Sinne“, was bei kritischer Betrachtung öffentliche Zuschüsse sind. Hilfen für Schülerverkehr werden hier ebenso im Vorfeld einberechnet wie Überschüsse der Stadtwerke aus der Wasserversorgung oder den Müllgebühren. Die Kommunen halten dabei ihre schützende Hand über das eigene Unternehmen.

Das UBA bezeichnet diese Praxis als „fingierte Eigenwirtschaftlichkeit“ – und plädiert für Abschaffung der unsinnigen Unterscheidung von gemein- und eigenwirtschaftlich. Die Fixierung auf diese Fragen hat viele Unternehmen bisher davon abgehalten, sich auf den Wettbewerb vorzubereiten. Auch die Kommunen müssen noch lernen, als wirkliche Besteller aufzutreten. Dabei sollten sie keine Anreize schaffen, möglichst viel Geld auszugeben, sondern viele Fahrgäste zu befördern. Der wichtigste Konkurrent von Bussen und Bahnen ist schließlich immer noch das Auto.

ANNETTE JENSEN