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Archiv-Artikel

Stadtbücherei wird Antiquariat

Weil der Gelsenkirchener Haushalt für 2004 nicht genehmigt ist, gibt es in der Stadtbibliothek seit Januar keine neuen Bücher. Schriftsteller protestieren gegen die revierweit einzigartige Einsparung

VON NATALIE WIESMANN

Die Stadtbibliothek Gelsenkirchen verstaubt: Seit einem halben Jahr ist dort kein neues Buch mehr angeschafft worden. Der Grund: Der geplante Etat in Höhe von 361.000 Euro wird seit Anfang des Jahres durch eine Haushaltssperre zurückgehalten. Der deutsche Schriftstellerverband und Bibliotheksleitung protestieren jetzt öffentlich.

„Wir bluten aus“, sagt Dörte Hundrieser, die seit 15 Jahren die Stadtbibliothek Gelsenkirchen leitet. Der Etat würde zwar seit vielen Jahren zurückgefahren, aber „so schlimm wie in diesem Jahr war es noch nie“. Der Posten für Literatur- und Leseförderung wurde ganz aus dem Haushalt gestrichen: Es gibt keine Schulführungen, keine Lese-Wettbewerbe und keine Ferienaktionen mehr. Dass die Anschaffung von Büchern zu den freiwilligen Aufgaben einer Kommune gehöre, sei sowieso ein Skandal: „In den meisten anderen europäischen Ländern existiert dafür ein Bibliothekengesetz.“ Das Vorgehen der Stadt Gelsenkirchen sei „völlig unverständlich“, entrüstet sich auch Hugo Ernst Käufer, früherer Direktor der Stadtbibliothek in einem offenen Brief an die Entscheidungsträger. In Bochum, wo er zu Hause sei, hätte der Rat den Kulturetat sogar erhöht.

Die Haushaltssperre für Bibliotheksbücher ist einmalig im Ruhrgebiet. Schuld an dieser Lage sei die Patt-Situation im Rat, so Stadtsprecher Michael Schulmann. Das Stadtparlament konnte sich nicht auf den Haushalt einigen und musste der Bezirksregierung eine Prioritätenliste vorlegen. Da seien die Bibliotheksausgaben von hinten weggestrichen worden „Sobald der Haushalt genehmigt ist, sind die Gelder frei.“ Doch niemand weiß, ob sich das noch bis zum Ende des Jahres hinzieht.

„Eine Stadtbibliothek ohne Neuanschaffungen verliert ihre Existenzberechtigung“, sagt der Gelsenkirchener Schriftsteller Werner Schlegel. Der Ruhr-Bezirksvorsitzende des Deutschen Schriftstellerverbands hat den Protest mit dem Landesvorsitzenden und Kinderbuchautor Volker W. Degener initiiert. Er hat namhafte Schriftsteller aus der Region wie Daniela Dahn, Marlene Streeruwitz und Jürgen Lodemann angeschrieben und sie gebeten, sich öffentlich zu äußern. Schlegel wundert sich, warum die Stadtbibliothek erst jetzt protestiert: „Eine Stadt mit 22.000 Arbeitslosen braucht die kostenlose Leihe besonders“, sagt er. Der Schriftsteller befürchtet, dass die Gelsenkirchener Einsparungen eine Vorreiterrolle für andere Städte im Ruhrgebiet erhalten könnten.

Doch ganz so weit ist es noch nicht. Die Bezirksregierung Münster scheint jetzt aufgerüttelt: „Wir werden mit der Stadt zusammen eine Lösung finden“, sagt Pressesprecher Stefan Bergmann. Über die besagte Prioritätenliste müsse noch einmal verhandelt werden.