Nulldollarscheine im Geldkreislauf

Versponnen und doch konzeptuell: die neue Ausstellung des Hamburger Kunstvereins zeigt Arbeiten des brasilianischen Konzeptkünstlers Cildo Meireles. Falschgeld läuft die Treppe hinunter, und als des Pudels Kern erweist sich ein mythologischer Hexenbesen

Schluss mit Sparen: In der neuen Ausstellung des Kunstvereins liegt im Erdgeschoss das Geld nicht nur in einer Waschschüssel offen herum. Der obere Ausstellungsraum quillt geradezu über, das dort verwendete Material läuft die Treppe herunter und gar zur Tür hinaus.

Mit 1322 Kilometern schwarzen Baumwoll-Polyesterfäden hat der brasilianische Konzeptkünstler Cildo Meireles den Raum verspinnen lassen – durchaus auch als Reverenz an Marcel Duchamps Intervention bei der Surrealistenausstellung 1942 in New York. Doch Cildo Meireles inszeniert nicht nur einen kunstimmanenten Kommentar zum Kunstbetrieb, er führt die ganze verworrene Vernetzung auch auf eine, zuerst etwas verborgene Quelle zurück: auf einen Hexenbesen. Und so bekommt die Installation noch einen zusätzlichen poetisch-mythischen Reiz.

Der 1948 in Rio de Janeiro geborene Meireles ist der wichtigste lebende Konzeptkünstler seines Landes, zumindest der international erfolgreichste. Auf diversen Biennalen, im New Yorker MoMa und schon zweimal auf einer documenta waren seine meist in öffentliche Systeme eingreifenden Arbeiten zu sehen. Solche Konzepte, die erst in der realen Benutzung funktionieren, sind auch in dieser Ausstellung dokumentiert: Antiamerikanische Aufdrucke, die in den Pfandflaschenkreislauf von Coca-Cola eingebracht wurden, mit politischen Fragen bestempelte Geldscheine und aufwendig von Geldprofis gestochene Scheine im jeden Geldkreislauf ad absurdum führenden „offiziellen“ Wert von Zero Cruzeiro oder Null Dollar. Dazu eben die Schüssel voll echter Euros in einer verführerischen Rauminszenierung.

Brasilien steht hierzulande meist nur für Musik, Karneval und Amazonasindianer und nicht für das reiche Kunstleben in den Millionenmetropolen Rio de Janeiro und São Paulo. Wenn etwas spezifisch brasilianisch an dieser Kunst ist, dann vielleicht die Lust, die Konzepte auszuspinnen und es nicht bei einem bloßen Ideennotat zu belassen. In Brasilien ist in den 60er Jahren die Bewegung des Neo-Concretismo sehr wichtig gewesen. Die Inszenierung des Ausstellungsraumes und die Einbindung des Publikums sind Arbeitsweisen, die sich in Brasilien zuerst als rein formale Konsequenz aus einer sehr strengen geometrischen Kunst ergeben haben. Bei Cildo Meireles kommt daher die Haltung, auch bei seinen ab 1970 erfolgenden Eingriffen in soziale Felder auf eine gewisse formale Eleganz zu achten.

Mitunter weisen Cildo Meireles‘ Werktitel einen sprachdekonstruierenden Wortwitz auf, den kaum übersetzbar ist, während die zur Zeit der brasilianischen Militärdiktatur entstandenen Werke oft einen konfrontativen Subtext haben. Je deutlicher allerdings eine künstlerische Arbeit sich auf solche spezifischen Kontexte bezieht, desto schwieriger wird deren internationale Rezeption. Mitunter bringen andere kulturelle Kontexte aber auch neue Aspekte hervor. Neben dem schwarzen Fadenchaos sind 48 Strohballen positioniert, die mit hundert Meter dünnem Goldfaden umsponnenen sind – im Hamburger Kunstverein stellt sich so ein Zusammenhang mit alten deutschen Märchen her, der in Brasilien so nicht präsent sein dürfte. Hajo Schiff

„Cildo Meireles“, Kunstverein in Hamburg, Klosterwall 23; Di–So 11–18, Do bis 21 Uhr, bis 19. September; der Katalog bei Hatje Cantz erscheint im Anschluss an die Ausstellung