So verhindern Sie die Staatspleite

VON STEPHAN KOSCH

1. Sie sind Finanzminister geworden und stellen fest: Der Staat ist tief in den Miesen. Nichts Besonderes, das Problem teilen Sie mit so ziemlich jedem Ihrer Kollegen auf der Welt. Auch Hans Eichel muss ebenso wie seine Vorgänger in jedem Jahr den Schuldenstand erhöhen, damit der Staat über die Runden kommt. Der einzige Unterschied: Ihr Staat hat auf den Finanzmärkten offenbar seinen Kredit verspielt. Keiner will mehr Ihre Anleihen haben, obwohl Sie doch Superzinsen zahlen würden. Was haben Sie gemacht? Bestimmt hält man Sie nicht für einen Anhänger von Vetternwirtschaft, bei dem Staatsgeld in einem Netzwerk von Gönnern in lukrative Posten verschwindet. Und Sie würden doch gewiss auch keinem Regierungschef dienen, der sich eine viel zu teuere Armee leistet, weil er so gern Paraden abnimmt? Haben Sie im Wahlkampf etwa Robin Hood gespielt? Haben Sie eine Steuerpolitik angekündigt, mit der Sie das Geld in Ihrem Land gerechter verteilen wollen? Von den Reichen nehmen und den Armen geben? Sind Sie ein Linker? Mit revolutionärem Touch? Das erklärt einiges …

2. Holen Sie sich einen Termin beim Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington.

Der ist für solche Fälle da. Denn wenn ein Land seine Gläubiger nicht mehr bedient, kann das weltweit schlimme Folgen haben. Das Kapital, das um den Globus schwirrt, neigt zu Panikattacken. Vielleicht weil eine große Bank eines Industrielandes jetzt sein verliehenes Geld nicht mehr zurückbekommt. Das macht die Aktionäre aller Banken nervös, vielleicht fallen die Kurse weltweit, und dann ist das Geschrei groß. Deshalb haben die Hüter des IWF, der sich aus den Einlagen der 184 Mitgliedsstaaten speist, mehrere Kreditprogramme auf Lager. „Stand-by-Arrangements“ für 12 bis 18 Monate, mittelfristige Kredite über drei bis vier Jahre, Notfallhilfen im Falle von Katastrophen oder sehr niedrig verzinste Langzeitkredite für besonders arme Länder. Übrigens müssen Sie sich nicht schämen, hier um einen Kredit zu bitten. Sie sind in guter Gesellschaft. Neben den so genannten Entwicklungs- und Schwellenländern in Asien, Afrika und Lateinamerika haben in den vergangenen 60 Jahren auch schon Großbritannien und Belgien Hilfe vom Fonds bekommen.

3. Machen Sie einen Sanierungsplan für Ihr Land.

Und überlassen Sie das nicht dem IWF. Denn der Fonds gibt sein Geld nicht einfach so her, sondern will dafür Gegenleistung über die Zinsen hinaus. Strukturanpassung, nennt man das in Washington. Damit will man Ihnen helfen, Ihre Wirtschaft wieder flott zu bekommen, so dass Ihr Staat sich nicht ständig neu verschulden muss. Und natürlich will man dabei auf die Besonderheiten Ihres Landes eingehen, verspricht der IWF. Das ist auch nicht gelogen, denn in der Tat hat der Fonds in den vergangenen Jahren gezeigt, dass er nicht mehr allen kranken Volkswirtschaften die gleichen Patentrezepte schreibt. Damit hat er die Probleme in einem Land oft verschärft. Aber auch wenn die Medizin etwas sanfter dosiert wird, der Wirkstoff bleibt derselbe: Freiheit für das Kapital. Der IWF wird Ihnen Steuersenkungen vorschlagen, die Privatisierung von öffentlichem Eigentum und die „Flexibilisierung“ des Arbeitsmarktes. Aus der Nummer kommen Sie nicht ganz raus, aber Sie sollten sehr auf der Hut sein, dass man ihnen das Heft nicht aus der Hand nimmt. Es geht schließlich um Ihr Land.

4. Seien Sie nett zu ausländischen Investoren.

Wer A sagt, muss auch B sagen. Hohe Zölle zu erheben, um die landeseigenen Produzenten zu stärken – das wird der IWF nicht mitmachen. Auch wenn die Europäische Union und die USA genau das Gleiche tun. Aber die brauchen jetzt gerade keine Hilfe vom IWF. Also bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als die Grenzen für Waren und Geld aus dem Ausland zu öffnen. Das bringt Ihnen auch wieder ein wenig Vertrauen auf den Kapitalmärkten zurück. Die wissen ja mittlerweile, dass der Fonds Ihnen Geld geben würde, mit dem Sie dann ja wieder Schulden bezahlen können. Gut, Sie werden auch zum Ziel von Spekulanten, die möglicherweise mal ein wenig mit Ihrer Währung spielen. Aber einen Crash würde doch niemand riskieren, oder? Na ja, fragen Sie mal in Thailand nach …

5. Beruhigen Sie Ihr Volk.

Das geht nämlich immer öfter auf die Straße und erinnert Sie an Ihre alten Robin-Hood-Sprüche. Deshalb rät der IWF auch, die Zivilgesellschaft ins Boot zu holen. Reden Sie also mit Gewerkschaften, Kirchen, Medien und anderen Institutionen des öffentlichen Lebens. Erklären Sie Ihnen, dass Sie mit der Steuerreform die Unternehmen entlasten mussten. Sonst hätte doch keine Firma aus dem Ausland bei Ihnen investiert. Und in den neuen Fabriken sind ja auch einige Arbeitsplätze entstanden. Nicht so viele, wie in den alten bereits waren, das stimmt. Aber dafür können die neuen Fabriken viel besser und billiger produzieren, und mittelfristig könnte Ihr Land in irgendeinem Bereich bestimmt Weltspitze werden und dann gäbe es auch wieder mehr Arbeit. Bis dahin müssen Sie sich was einfallen lassen. Wie wäre es mit einer Vision: „Blühende Landschaften“ oder so ähnlich? Aber legen Sie sich besser nicht auf einen Zeitraum fest …

6. Lernen Sie jonglieren.

Jetzt wird es richtig schwierig, und zwar für längere Zeit. Der IWF will Fortschritte bei den Reformen sehen, die aber im Inland für Ärger sorgen. Sie haben nämlich auch Ihre Währung abgewertet, damit die in Ihrem Land hergestellten Produkte auf dem Weltmarkt bessere Chancen haben. Deshalb pflegen Sie auch den freundlichen Kontakt zu den reichen Nationen. Die Importe wurden durch Ihre Währungspolitik allerdings teurer, die Inflation steigt. Die Gewerkschaften wollen das durch höhere Löhne ausgleichen. Geht aber nicht. Denn der IWF will, dass die Steigerungsrate unter der Inflation bleibt. Sonst würde die Preisspirale nur noch weiter angekurbelt. Also sinken die Reallöhne und Ihr Ansehen beim Volk. Machen Sie also vage Versprechungen, und schieben Sie irgendwem die Schuld zu, am besten der Weltwirtschaft. Und ein bisschen auch dem IWF. Aber nicht zu viel, wer weiß, wie viel Kredite Sie noch brauchen. Elegant wäre es, mehr Mitspracherecht im Fonds fordern, wie das zum Beispiel die Finanzminister Afrikas tun. Denn das Stimmrecht im IWF richtet sich nach der Höhe der Einlage, deshalb haben die reichen Industrienationen und allen voran die USA das Sagen. Schließen Sie sich der Forderung nach Reformen im IWF an, schlagen Sie selbst welche vor. Dass das wirklich etwas ändert, daran glauben Sie selbst nicht. Aber Sie können in Washington auf Ihre grundsätzliche Loyalität und im Inland auf Ihre kritische Distanz verweisen. Bringt Ihnen vielleicht Punkte bei der nächsten Wahl. Und Sie wollen doch im Amt bleiben, oder?

7. Arbeiten Sie an Plan B.

Das alles kann klappen, und Sie werden ein Land mit einer Volkswirtschaft, die zwar nie einen ausgeglichenen Staatshaushalt haben geschweige denn Überschüsse produzieren wird. Aber vielleicht reicht es tatsächlich, um eine funktionierende Infrastruktur, ein Gesundheitssystem, Schulen und eine Altersversorgung aufzubauen. Dann sollten Sie Anspruch auf den Posten des Präsidenten erheben. Es kann aber auch ganz schön viel schief gehen. Wenn die Exporte doch nicht für so viel Einnahmen sorgen, wie erwartet, weil der Welthandel gar nicht so frei ist, wie der IWF es sich wünscht. Dann wird die Bevölkerung immer ärmer, neue Kredite müssen her, die für steigende Zinslast sorgen. Jetzt müssen Sie eine andere Lösung parat haben. Vielleicht gehören Sie mittlerweile schon zu den Staaten, die ins HIPC-Programm des IWF aufgenommen werden können. Das ist das Programm für die Länder, die ganz arm dran sind. Dann wäre eine Entschuldung möglich. Natürlich nur gegen Auflagen. Aber das kennen Sie ja schon …