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Archiv-Artikel

„Lohnsenkung muss sein“

Der Wirtschaftswissenschaftler Joachim Scheide meint, die Deutschen arbeiten zu wenig. Ohne die Lohnkürzung würden die Leute bei Siemens ihren Job verlieren

taz: Herr Scheide, halten Sie die unbezahlte Mehrarbeit bei Siemens für richtig?

Joachim Scheide: Ja. Wenn wir von der Globalisierung profitieren wollen, müssen wir Flexibilität zeigen.

Welchen wirtschaftlichen Vorteil soll die Rückkehr zur 40-Stunden-Woche haben?

Die Summe der geleisteten Arbeitsstunden ist in den vergangenen zehn Jahren in Deutschland um etwa 10 Prozent gesunken. Wenn wir mehr arbeiten, können Wachstum und Wohlstand stärker zunehmen. Das erleichtert auch die Finanzierung der Sozialsysteme.

Wie würde ein Unternehmen wie Siemens profitieren?

Viele Firmen stehen unter großem Druck aus dem Ausland – besonders in den Bereichen, wo die Qualifikation der Arbeitskräfte nicht hoch zu sein braucht. Wenn wir die Beschäftigung halten wollen, müssen in bestimmten Bereichen die Löhne sinken.

Die Produktion von Handys bei Siemens gehört nicht gerade zu den schlecht qualifizierten Tätigkeiten.

Das ist schon sehr stark mechanisiert. Es ließe sich spielend leicht nach Ungarn verlagern.

Die deutsche Wirtschaft ist im Export auf dem Weltmarkt extrem konkurrenzfähig. Beleg sind die hohen Exportüberschüsse. Warum soll man sie durch Lohnsenkung noch leistungsfähiger machen?

Grundsätzlich richtig – aber unser großes Problem ist die zu geringe Nachfrage im Inland.

Weil die Beschäftigten von Siemens für ihre Mehrarbeit keinen zusätzlichen Lohn erhalten, können sie nicht mehr Geld ausgeben. Und die Nachfrage bleibt, wie sie ist: schwach.

Ohne die Lohnkürzung würden die Leute aber arbeitslos. Damit würde die Nachfrage noch mehr sinken.

Die Rückkehr zur 40-Stunden-Woche dient also nur dazu, das bisherige Niveau von Wachstum, Konsum und Arbeit zu erhalten?

Einen neuen Boom gibt es nicht, aber der Beschäftigungsabbau wird gestoppt. Grundsätzlich muss Deutschland Abschied nehmen von Produktionen mit gering qualifizierter Beschäftigung. Bei Stellen, die eine hohe Ausbildung erfordern, können die Löhne dagegen steigen.

Welche Branchen könnten besser zahlen?

Teile der Auto- und der Elektroindustrie, auch der Maschinenbau.

Also 30-Stunden-Woche bei DaimlerChrysler bei vollem Lohnausgleich?

Daimler steht ebenfalls im Wettbewerb. Die überlegen auch, ob ihre Produktion hier stattfinden soll oder in den USA.

Hat es noch Sinn, die Arbeitszeit für ganze Branchen gleichzeitig zu regeln?

Nein, der Flächentarifvertrag wird immer mehr durchlöchert, man kann weniger als früher alles über einen Kamm scheren.

INTERVIEW: HANNES KOCH