: Stark gereinigt
„Kunst in der DDR“ versucht sich nicht an einer Kanonisierung im Sinne „Best of GDR“
von BRIGITTE WERNEBURG
Eine Ausstellung, die die DDR-Nostalgie bedient wie zuletzt der Film „Good bye, Lenin“, ist „Kunst in der DDR“ nicht, die gestern in der Neuen Nationalgalerie eröffnet wurde. Obwohl man das von einer Ausstellung hätte befürchten können, die die große Berliner Museumsausstellung während der internationalen Kunstmesse Art-Forum ist. Doch man sucht vergebens nach dem Äquivalent zur Spreewaldgurke – falls man nicht Werner Tübkes „Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze (III)“ von 1965 als solche sehen will. Es fehlt jedenfalls weithin das wirklich Populäre und Bekannte der Kunst der DDR.
„Kunst in der DDR“ ist eine ungeheuer stark gereinigte Ausstellung; eine Ausstellung zweier Kuratoren, Eugen Blume und Roland März, die schon zu DDR-Zeiten an der Nationalgalerie beziehungsweise am Kupferstichkabinett tätig und für die Ankäufe und Ausstellungen mitverantwortlich waren.
13 Jahre nach dem Ende der DDR haben sie die Chance gesehen, endlich einmal all die Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen und Fotografien aller Richtungen und Gruppierungen zusammenzutragen, die sie von ihrer Qualität her überzeugten. Und alle Artefakte draußen zu lassen, die dem Kriterium der Qualität in der Behandlung von Form, Material und Thematik im Sinne eines genuin ästhetischen Zugangs nicht genügten. Diese Freiheit hatten Eugen Blume und Roland März seinerzeit nicht. Insofern sagt die Ausstellung, die ein „Best of GDR“ versucht, sehr viel mehr über die Situation der Kunst in der Bundesrepublik Deutschland aus als über die Situation der Kunst in der DDR. Schlechte Kunst lassen die Ausstellungsmacher dabei genauso außen vor wie jene Auftragskunst, deren Qualität keineswegs wegen der niedrigen politisch-ideologischen Beweggründe der Auftraggeber verloren ging.
Trotzdem will die Schau repräsentativ sein und zeitgeistig aktuell auch gleich noch „kanonbildend“, wie Peter-Klaus Schuster, Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin jüngst verkündete. Doch repräsentativ ist sie eben nur für die Freiheit der kuratorischen Arbeit, „Re-Visionen“ zu schaffen, die dem glatt entgegenstehen, was im Arbeiter-und-Bauern-Staat als Auftrag der Kunst galt, was 40 Jahre lang das Kunstgeschehen in der DDR bestimmte und vom staatlichen Kunsthandel unter die Leute und in die Ausstellungsräume gebracht wurde. Schaut man sich im Ausstellungsraum 19 die alten Fernsehberichte zu den jeweiligen großen Kunstausstellungen in Dresden (erstmals als Allgemeine Deutsche Kunstausstellung 1946 bis zur X. Kunstausstellung 1987/88) an und sieht, was dort gezeigt und gepriesen wurde, möchte man das populäre Diktum von den Visionen, die doch nur Sehstörungen sind, nicht ohne weiteres verwerfen.
Dabei fallen in den zwanzig Themenräumen gerade die Arbeiten als interessant und überlebensfähig auf, die den Geist des sozialistischen Realismus durchaus in sich tragen: Willi Sittes Paraphrase auf Ferdinand Léger von 1959 zum Beispiel, die einen lesenden Arbeiter im Baugerüst zeigt. „Arbeitspause“ ist eine hinreißende Knabendarstellung, der die Verortung in der pathetisch überhöhten, modernen, neuen Welt des sozialistischen Wiederaufbaus genau jenen Sexappeal gibt, den das Bild verlangt. Und gleichermaßen frisch und eigenwillig wirkt Harald Metzkes „Abtransport der sechsarmigen Göttin“ von 1956, ebenfalls eine Auseinandersetzung, in diesem Fall mit Max Beckmanns „Abtransport der Sphinxe“ (1945). Neben der Monumentalfigur erkennt man im Hintergrund die wahre Göttin in einem sechsrohrigen Kanonenboot. Wehret dem Klassenfeind.
Im Fortgang der Ausstellung zeigt sich allerdings auch, gerade wenn man sich an die Paraphrasen hält, ein Niedergang, der in den 80er-Jahren besonders deutlich wird. In „Großstadt veristisch“ findet man alle Grosz und Dix und Schad der Weimarer Zeit durchgespielt, doch am Ende wirken die Punkfrauen von Clemens Gröszer nur entsetzlich provinziell.
Und damit ist ein weiteres Stichwort zur Ausstellung gegeben, denn mehr als die Kunst in der DDR scheinen lokale Kunsträume auf: Dresden als „Blaues Wunder“ oder „Peinture Elbflorenz“, Berlin als „Schwarze Melancholie“, wo sich Harald Metzkes als ein Künstler zeigt, den man entdecken muss, und Berlin wie Leipzig sich dann auch als „Schulen“ herausstellen. Hier gibt es also endlich die berühmt-berüchtigte Viererbande zu bestaunen, die eigentlich nur ein Trio ist, weil der Kunstfunktionär Willi Sitte plötzlich nicht mehr zu Wolfgang Mattheur, Bernhard Heisig und Werner Tübke passt. Gegen dessen Verpuppung in einem Trash-Michelangelo „Am Strand von Roma Ostia I“ (1973) kommt eigentlich nur der Raum „Konstruktiv Konkret“ mit den abstrakten Arbeiten von Hermann Glöckner an.
Glöckner musste 80 Jahre alt werden, bevor er seine erste Ausstellung in der DDR bekam, während es sich Tübke, wie sein Bildtitel zeigt, in Italien am Strand von Ostia gut gehen ließ. Gerechtigkeit ist ein Wort, das einem da durch den Kopf schießt. Es ist zwar wahr, dass sich der einzelne Künstler dem Auftrag des Staates entziehen konnte, anders und anderes malen konnte als gewünscht, freilich mit der Konsequenz, dass ihm umgekehrt der Auftrag entzogen wurde. Das aber wird in der Schau nicht sichtbar. Friedlich folgen Erfolg und Scheitern aufeinander und mischen sich im bunten Themenkreis.
Es fällt dann auch nicht weiter auf, dass von 135 KünstlerInnen der Ausstellung gerade mal sieben Künstlerinnen sind, also rund 5 Prozent. Würde man die Rechnung für die 400 ausgestellten Exponate aufmachen, müsste man mit unter 2 Prozent Werken von Frauen rechnen. Auch in diesem Punkt ist die DDR nicht wiederzufinden. Bei den FotografInnen allerdings schnellt der Anteil der Frauen auf ein Drittel, und dass die Fotografie die überzeugendste Abteilung von „Kunst in der DDR“ ist, liegt gewiss mit daran. Der Körper und die Tagespolitik, bei Gundula Schulze el Dowy, Thomas Florschuetz oder Jens Rötzsch in reflektierter und konzeptueller Form gefasst: Hier finden sich die Themen, die in der Ausstellung sonst vergeblich gesucht werden.