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Archiv-Artikel

Die Kämpfer des Volksbegehrens

Sie stehen draußen in der Kälte, um in einem fremden Bundesland eine Wahlreform zu erreichen. Wer sind die Menschen, die Hamburg mehr Demokratie bringen wollen? Ein Suche vor Ort

Die Aktion

Am 23. 1. startete das Volksbegehren für eine Reform des Hamburger Wahlrechts. Die Wahlrechtsreform soll den Einfluss der Wähler auf die personelle Zusammensetzung der Bürgerschaft stärken. Außerdem soll die Wahl der Bezirksversammlung mit der Europa-Wahl zusammengelegt werden. Bis jetzt sind schon mehr als 12.336 Unterschriften zusammengekommen. Wahlunterlagen können auf www.faires-wahlrecht.de herunterladen oder bestellt werden. Wenn 61.834 Wahlberechtigte bis zum 12. Februar für das Wahlrecht unterschreiben, wird es darüber einen verbindlichen Volksentscheid am Tag der Bundestagswahl, dem 27. September 2009, geben. LIST

VON LISA STAMM

Rahlstedter Wochenmarkt, 10 Uhr. Es schneit leicht. Zwischen dem Fischhändler und der Blumenfrau steht ein dick eingepackter älterer Mann, mit einem Sandwichplakat um die Jacke. Er preist sein Anliegen an: „Volksbegehren! Ein faires Wahlrecht für Hamburg! Möchten Sie unterschreiben?“

Hugo Jüstel ist einer von 120 so genannten Aktionsurlaubern aus ganz Deutschland, die Unterschriften für das Volksbegehren sammeln. Sie gehen bei jedem Wetter auf die Straße, selbst bei drei Grad unter Null. Hugo kommt aus „dem fernen Schwabenland“, wie er sagt, nach Hamburg, weil er „für die Verbesserung der Demokratie immer zur Verfügung steht“.

In Hamburg versucht der Verein „Mehr Demokratie“ erneut, eine Wahlrechtsreform durchzusetzen. Bereits 2004 war sie per Volksentscheid eingeführt worden, die allein regierende CDU machte das 2006 jedoch wieder weitgehend rückgängig. (siehe Kasten).

Ottensen, vor dem Mercado, 12.30 Uhr. Geschäftiges Treiben und Eiseskälte halten zwei junge Frauen, die aus Bremen hierher gekommen sind, nicht davon ab, Unterschriften zu sammeln. Daniela Beer und Katrin Tober erklären gerade einer älteren Dame, dass Volksentscheide nun verbindlich seien, weil die Bürgerschaft das im Dezember in die Hamburgische Verfassung schrieb. Deshalb sei die Sorge unbegründet, dass der angestrebte Volksentscheid einfach wieder aufgehoben werde.

Eine Gruppe Schüler unterschreibt gerade, einer meint: „Wir haben erst letztens eine Klausur übers Volksbegehren geschrieben. Ich find’s cool, dass ich schon 18 bin und unterschreiben darf.“ Andere junge Leute sind eher skeptisch, nehmen aber trotzdem einen oder zwei Stöpsel aus den Ohren.

Katrin Tober erntet aber auch oft nur ein müdes Lächeln oder genervtes Gemurmel. „Es gibt auch Leute, die meinen, es wäre gut so, wie es ist und eine Wahlreform sei unnötig“, erzählt Daniela Beer. „Doch dann fangen wir erst richtig an, zu erklären!“ Wäre es nicht gerechter, die mit den meisten Stimmen kämen ins Parlament? Und ist es nicht erstrebenswert, Personen zu wählen anstatt Parteien, hätte man dann nicht viel mehr Einfluss…? „Manche lassen sich sogar davon überzeugen“, sagt Katrin Tober lachend.

18 Uhr, Instant Sleep Hotel, am Rande des Schanzenviertel. Die ersten Unterschriftensammler trudeln im Backpacker Hotel ein. Zuerst kriegen sie einen Kaffee oder Tee in die Hand gedrückt, dann werden die Unterschriften abgegeben, die sie den ganzen Tag gesammelt haben. Während in der Schanze und in Ottensen gerne mal 100 Unterschriften zusammenkommen, sind es in Barmbek oder in der Uni Mensa manchmal nur 30. Dort gibt es dann Probleme mit der Wahlberechtigung oder dem Desinteresse der Passanten oder die Leute haben einfach keine Zeit. Oder Hunger.

25 bis 30 Aktionsurlauber wohnen zur Zeit im Instant Sleep Hotel, über die drei Wochen des Volksbegehrens sind es etwa 240. Fahrt und Unterkunft wird von „Mehr Demokratie“ bezahlt, außer für diejenigen, die das Geld spenden wollen. Auch aktive Hamburger und Aktionsurlauber, die privat untergekommen sind, treffen sich hier. Von Schülern bis zu 80-Jährigen ist jede Altersklasse vertreten. 30- bis 50-Jährige allerdings gibt es weniger. „Irgendjemand muss ja das Geld anschaffen“, sagt Ramona Pump und lacht. Sie sitzt im Büro und beantwortet die Fragen der vielen Anrufer. Manche wollen Briefwahlunterlagen oder Unterschriftenlisten, aber es gibt auch etliche, die einfach erst mal fragen, was das Volksbegehren überhaupt ist.

Ottensen, vor dem Mercado, 14 Uhr. Uwe Streller aus Darmstadt ist Ingenieur. Er hat Urlaub genommen, um das Volksbegehren in Hamburg zu unterstützen. „Ich mache das gerne“, sagt Streller leicht fröstelnd bei den nordischen Temperaturen, „2004 habe ich hier auch schon Unterschriften gesammelt“.

Elisa Sommer, eine Mitsammlerin aus Bayern, ist pensionierte Lehrerin: „Alle wollen etwas tun“, sagt sie. „Wir wollen doch alle aktiv werden für das, was uns am Herzen liegt.“ Für mehr Demokratie, findet Sommer, sei kein Aufwand zu hoch. Auch sie ist, wie die meisten Aktionsurlauber, Mitglied bei „Mehr Demokratie“ oder „Omnibus“. Diese beiden gemeinnützigen Vereinigungen wollen bundesweite Volksabstimmungen durchsetzen und den Wählereinfluss fördern.

Manche glauben nicht an so etwas. „Politiker machen eh, was sie wollen. Ich bin Kommunist und unterschreibe nicht“, sagt ein Mitfünfziger lächelnd. „Man müsste eine richtige Revolution machen, die Arbeitslosigkeit abschaffen“, fügt er hinzu.

Einen Aktionsvorschlag hat er aber parat: „Wie wäre es, wenn alle Obdachlosen sich Steine nehmen würden und in der Mönckebergstraße die Schaufenster einschlagen würden, damit sie einen Platz zum Schlafen bekämen?“ Das, so sagt er, „wäre gut“.