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Archiv-Artikel

„Meine Kinder sind auch schon HSV-Fans“

Die Eltern von Moshe Zimmermann sind 1938 vor den Nationalsozialisten aus Hamburg geflohen. 1972 kam er zurück, um deutsche Juden zu promovieren. Derzeit hält er sich zu einer Vortragsreise in Deutschland auf. Hamburg, sagt er, sei für ihn immer noch ein Stück Heimat

MOSHE ZIMMERMANN, 66, ist Gründer und Leiter des „Richard-Koebner-Center for German History“ an der Hebräischen Universität Jerusalem. FOTO: DPA

taz: Herr Zimmermann, fühlen Sie sich in Hamburg zuhause?

Moshe Zimmermann: Ja, zum Teil schon. Ich kannte viele Straßennamen, schon bevor ich in den Siebziger Jahren hierher kam. Auch die Hamburger Gerichte waren mir durch meine Eltern vertraut – vor allem die Süßigkeiten. Ich liebe Rote Grütze mit Vanillesoße. Man kann schon sagen, dass die Stadt für mich ein Stück Heimat bedeutet.

Was heißt das: Heimat?

Auf Hebräisch gibt es das Wort nicht. Ich habe es erst mit der deutschen Sprache gelernt. Es ist der Ort, mit dem man sein Leben am meisten verbunden fühlt, man muss dazu nicht dort geboren sein. Die israelische Gesellschaft ist sehr plural. Viele haben neben Israel noch eine zweite Heimat in Europa oder Amerika.

Wie lange kann so etwas bestehen: eine zweite Heimat?

Die Erfahrung anderer Einwanderungsländer wie etwa der USA zeigt, dass nach etwa zwei bis drei Generationen die alte Heimat abgelegt wird.

Die Juden in der Diaspora haben über 2.000 Jahre an Israel als ihrer Heimat festgehalten.

Das ist nicht dasselbe. Israel war für die Juden immer nur eine theoretische Heimat. Etwas Abstraktes. Der Tempel hat nicht mehr existiert. Die Klagemauer war vor der Rückkehr der Juden kaum wahrnehmbar.

Trotzdem berichten jüdische Einwanderer immer wieder, dass sie sich in Israel sofort heimisch fühlten, dass sie beim Betreten des Landes von einem Gefühl des Nach-Hause-Kommens erfüllt wurden.

Das lässt sich zum einem vor allem auf die zionistische Propaganda zurückführen und zum anderen auf ein tief religiöses Gefühl, das sich nicht rational begründen lässt.

Was ist in Hamburg von der jüdischen Kultur geblieben?

Nur das, was geschrieben wurde. Die spezielle jüdische Kultur Hamburgs ist verschwunden. Es gibt eine Hamburg-Jüdische Kultur in den USA und eine Hamburg-Jüdische Kultur in Israel. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde versucht, hier wieder eine jüdische Gemeinde zu rekonstruieren. Aber dies ist nicht gelungen. Die Talmut-Tora Schule, in der meine Eltern gelehrt haben, gibt es jetzt wieder, aber sie ist nicht dasselbe, was sie vor dem Krieg war. Sie war eine einzigartige Institution.

Was war das Besondere an dieser Institution?

Die jüdische Gemeinschaft in Hamburg war sehr liberal. Die Talmut-Tora Schule war Ausdruck dessen. In Hamburg gehörten alle, sowohl Orthodoxe als auch Liberale zu einer Gemeinde. Hamburg war eines der wichtigsten Zentren der jüdischen Emanzipation. Gabriel Riesser war vielleicht die bedeutendste Persönlichkeit der jüdischen Modernisierung.

Was ist mit dem Berliner Aufklärungsphilosophen Moses Mendelssohn?

Mendelssohn wird von Historikern gerne als Wegbereiter für Friedländer, Riesser und Ballin gesehen. In Wahrheit waren andere ebenso wichtig. Außerdem ist es immer kritisch, mit Mendelssohn zu beginnen, da er seine Kinder und Enkelkinder taufen lies.

Das klingt wie ein Vorwurf.

Ja, wenn jemand antritt, um das Judentum zu modernisieren und sich dann einfach davon abwendet, ist die Modernisierung doch gescheitert, oder?

In Hamburg haben viele sephardische Juden gelebt. Welche Rolle haben sie in der Gemeinde gespielt?

Sie hatten ihre eigene kleine Gemeinde, zuletzt etwa 200 Personen. Sie sprachen zwar ein etwas anderes Hebräisch, aber eigentlich war der Unterschied zu den anderen Gemeinden sehr gering. Meine Familie stammte ebenfalls ursprünglich aus dieser Gemeinde. Aber im 20. Jahrhundert waren die Gemeinden durch Mischheiraten bereits sehr gemischt.

Sie sind HSV-Fan. Warum halten Sie nicht zu St. Pauli?

Das ist bei uns in der Familie Tradition. Meine Kinder sind auch schon HSV-Fans und meine Enkel werden es ebenfalls sein.

INTERVIEW: JOHANN TISCHEWSKI