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Archiv-Artikel

„Kunst leistet Trauerarbeit“

Klaus Biesenbach

„Der Trubel und die Erregtheit der letzten Woche sprechen sehr dafür, dass man die Ausstellung zur Geschichte der RAF machen muss“

Seit einer Woche wird darüber gestritten, ob die Geschichte der RAF in Berlin ausgestellt werden darf. Von Klaus Biesenbach, dem 37 Jahre alten Leiter der Berliner Kunst-Werke, für Ende 2004 geplant, sollen dabei die Dokumente zur Geschichte der RAF vom namhaften Hamburger Institut für Sozialforschung aufgearbeitet werden, dazu gibt es Arbeiten von Künstlern, die sich mit dem Thema beschäftigt haben. Politiker wie Friedrich Merz und Guido Westerwelle wittern schon eine Beschönigung des Terrorismus, wenn nicht gar eine Verhöhnung der Opfer. Deshalb haben sie vehement kritisiert, dass die Ausstellung mit 100.000 Euro aus den Mitteln des Hauptstadtkulturfonds unterstützt wird

Interview HARALD FRICKE und ROLF LAUTENSCHLÄGER

taz: Herr Biesenbach, wie alt waren Sie 1977?

Klaus Biesenbach: Da war ich elf.

Und welche Erinnerungen haben Sie an den 18. Oktober 1977, die Entführung der Landshut und die Ermordung von Hanns-Martin Schleyer?

Ich habe das alles in einem kleinen Dorf, in Kürten, 29 Kilometer von Köln, mitbekommen. Das heißt, der Zeitraum, den wir mit der Ausstellung zur RAF thematisieren wollen, also 1970 bis 1977, der reichte von meinem vierten bis elften Lebensjahr. Ich kann mich an eine Situation erinnern, da sind wir auf der Autobahn angehalten worden und das Auto wurde durchsucht. Das war ein Stück Realität, nicht nur der Fernseher und die Diskussionen, auch die Leute auf der Straße. Es war eine traumatische, sehr aufgeladene Atmosphäre.

Die Sie schon als Kind bewusst erlebt haben?

Bewusst ja, aber natürlich nicht so wie jemand, der in direkten Kontakt mit den Gewalttaten gekommen ist. Was ich im Hinblick auf die Austellung interessant finde, ist, dass diejenigen, die noch jünger sind als ich, eher vom Kino geprägt worden sind. Für sie ist die Trennung, was davon auf Realität basiert und was nicht, gar nicht mehr da.

Weil Andreas Baader und Ulrike Meinhof als filmische Ikonen die tatsächlichen Ereignisse überlagern?

In Amerika heißt Volker Schlöndorffs Film „Die Stille nach dem Schuss“ auf Englisch „The legends of Rita“. Da klingt die Legende mit an, das finde ich bezeichnend. Als ich dann bei einem Künstler auf Besuch war, lag der Bildband von Astrid Proll auf dem Tisch, und sein Assistent schwärmte von dem tollen Layout in Rot. Ich habe ihn daraufhin gefragt, ob er überhaupt weiß, was da verhandelt wird. Nein, wusste er nicht. Aber ein anderer meinte, dass wäre doch die Zeit aus „Legends of Rita“, eben die Fotos aus Paris.

Wie hat sich bei Ihnen das Interesse für die politische Dimension der RAF gebildet?

Das Thema hat mich fasziniert, weil hier immer schon Geschichte, Realität, auch Bilder zusammen kamen. Ganz konkret wurde die Arbeit an der Ausstellung nach dem 11. September, als sich für mich in den USA die Frage nach dem Umgang mit Terrorismus gestellt hat. In den letzten zwei Jahren war man mit dieser Wirklichkeit konfrontiert, das hat bei mir einen kritischeren Umgang mit der RAF ausgelöst. Außerdem gab es plötzlich den Hype, von RAF-Logos auf T-Shirts über Bandnamen, Labels wie „Prada-Meinhof“ bis zur Diskussion im Spiegel. Deshalb haben wir 2002 zum ersten Mal bei Interessierten angefragt, ob man zu dem Thema eine profunde Ausstellung machen könnte, schließlich gab es in den Kunst-Werken schon mehr Projekte zu politischen Themen. Und da ist noch etwas: Ende der 90er-Jahre ist eine Umkehrung eingetreten, wo eine ganze Künstlergeneration nicht mehr weiterkam mit den Vorstellungen von Kunst als einem Spiel mit Design und DJ-Kultur. Dieses Lebensgefühl hat damals abrupt aufgehört, die Künstler wollten wieder Flagge zeigen – nur wusste keiner sofort, wofür.

Dann ist mit dem 11. September also auch die Zeit für eine Auseinandersetzung mit dem 18. Oktober und der RAF reif geworden?

Seit fast zwei Jahren ist Terrorismus in der öffentlichen Diskussion ein international dominantes Thema. Da müsste man eigentlich denken, dass ein Land wie Deutschland für eine Auseinandersetzung mit Terrorismus besonders geeignet ist, weil man hier schmerzliche Erfahrungen besitzt, was die Beschreibung der Taten und Vorgänge, die Verarbeitung und auch die Deeskalation anbelangt.

Spielt es nicht auch eine Rolle, dass Terrorismus durchaus als jugendliche Rebellion und totale Verneinung des Staates einiges an Faszination ausübt – quasi als radikaler Mitte-Chic?

Nein, ich würde das differenzieren. Da sind zwei Generationsschnitte. Wenn man am Hackeschen Markt einen 19-jährigen Jugendlichen mit RAF-Logo auf dem T-Shirt trifft und sich ihn genauer ansieht, dann merkt man, dass diese Person nichts über die historischen Hintergründe, über die Kriminalität weiß. Diese Generation ist einfach uninformiert. Deshalb wollen wir mit der Ausstellung all die Mythen abbauen, die sich da irgendwo mit Filmen, der Mode und den Klischees aufgebaut haben. Indem wir eine Chronologie in die Abläufe bringen, indem wir Informationen über Taten und Zusammenhänge liefern, holen wir die Geschichte wieder in die Realität zurück, was ja auf eine Entmythologisierung hinausläuft.

Also Aufklärung für spät Geborene?

Das ist der erste Schnitt. Dann gibt es die Generation, zu der ich auch mich zählen würde. Sie hat die Taten wahrgenommen, sie kann die Ereignisse in der Realität ankern. Dazu muss ich gestehen, dass eine Person wie Andreas Baader für mich kein Held war. Wenn ich mir Biografien anschaue, die über ihn geschrieben worden sind, vor allem die hervorragende Dokumentation von Klaus Stern, dann war für mich nichts faszinierend daran, weder an Baaders Lebensstil noch an seinem Handeln. Und, am wichtigsten, man darf nicht die Zeitzeugen vergessen, die das unmittelbar als Erwachsene miterlebt haben. Dazu gehören auch im besonderen Angehörige der Opfer, für die mit dem Verlust der Lebenspartner, eines Elternteils die eigene Biografie brutalst verändert wurde.

Hat Sie das berührt bei Ihren Recherchen?

Ich muss gestehen, dass ich schon deshalb gezögert habe, an die Hinterbliebenen mit einem unausgegorenen Konzept zur Ausstellung heranzutreten, weil ich sie nicht unvorbereitet nach ihren Erinnerungen fragen wollte. Ich musste erst einmal auch organisatorisch und inhaltlich sicherstellen, dass in den Kunst-Werken die Chance für eine seriöse Aufarbeitung existiert. „Black Box BRD“ von Andres Veiel ist in dieser Beziehung ein hervorragender Film, der einen erschüttert und dennoch seine eigene Vorgehensweise zugleich erdet.

Was macht die Beschäftigung mit der RAF von Seiten der Kunst her denn erhellend?

Kunst und Bilder können eine Erfahrbarkeit auf einem ganz anderen Niveau und in anderen einer Direktheit erreichen, als es mit Sprache geschieht. In der Ausstellung über Mexiko-Stadt, die wir im Herbst 2002 veranstaltet haben, ging es oftmals nicht um eine mediatisierte oder indirekte Annäherung ans Leben, sondern um eine fast unmittelbare Erfahrung – um das, was Walter Benjamin „den Chock“ genannt hat.

Damit machen Sie sich auch angreifbar, wenn das, was ausgestellt wird, den „guten Geschmack“ überschreitet. Würden Sie dieser Kritik zustimmen?

Ich würde die Kritik ernst nehmen. Es wird mir schlaflose Nächte bereiten, weil ich nicht möchte, dass da Unklarheiten über unsere Absichten entstehen. Ich weiß aber auch, dass es zu meinen kuratorischen Aufgaben gehört, solche missverständlichen Wahrnehmungen zu vermeiden. Es mag zwar konservativ klingen, aber wenn ich Exponate wie zuletzt für die Mexiko-Ausstellung aussuche, habe ich Schönheit und Wahrheit als Kriterien. Das hört sich vielleicht banal an, meint aber, dass man die künstlerische Qualität immer an dem Gehalt prüfen muss, den eine Arbeit transportiert. Dies zu überprüfen wird im Fall der Beschäftigung mit der RAF gewiss nicht leicht.

„Volker Schlöndorffs Film ‚Die Stille nach dem Schuss‘ heißt auf Englisch ‚The Legends of Rita‘. Da klingt die Legende mit an, das finde ich bezeichnend“

Und wie gehen Sie mit dem Druck um, der durch den Streit weit vor Beginn bereits auf dem Projekt liegt?

Ich denke, es ist ein ungeheurer Druck entstanden, der nun in eine Herausforderung an die Ausstellung verwandelt werden muss. Wir versuchen, auf die Schärfe und Emotionalität, die durch verschiedene Äußerungen entstanden ist, möglichst ruhig und sachlich zu reagieren. Natürlich ist das eine Belastung für alle Beteiligten, schließlich sind es gerade die Künstler, die immer auch eine sehr enge emotionale Bindung zu dem haben, was sie machen, und nicht entfremdet Waren produzieren.

Geht es jetzt erst recht darum, Merz und Westerwelle von der Notwendigkeit einer Ausstellung über die RAF zu überzeugen?

Ich will versuchen, das Gespräch aufrechtzuerhalten und nicht fallen zu lassen. Daran ist auch der Mut geknüpft, an bestimmte Leute heranzutreten und mit ihnen über die Probleme zu reden. Denn der Trubel und die Erregtheit der letzten Woche sprechen sehr dafür, dass man diese Ausstellung machen muss.

Die Kunst-Werke haben in den vergangenen Jahren Künstler gezeigt, die Tabus verletzt haben und nicht einmal vor physischer Gewalt zurückgeschreckt sind: Santiago Sierras Aktion mit Asylbewerbern zum Beispiel, die in verschlossene Kartons gesteckt wurden. Was können und was wollen sie als Kurator in solchen Fällen vermitteln – die extreme künstlerische Form, die Wirkung oder den Inhalt?

Santiago Sierra hat Asylbewerber in einem Karton gezeigt, der genauso groß war, wie der Platz, den sie in einem Heim hatten! Sie haben das freiwillig gemacht und waren stolz auf die viel diskutierte Aktion. Er hat sie weder körperlich noch in ihrer Würde verletzt. Generell ist das Ausstellungsmachen für mich wie die Herausgabe von Büchern. Wenn ich ein Buch, egal ob mit Texten oder Fotos herausgebe, dann hafte ich im Sinne des Pressegesetzes für den Inhalt. Deshalb stelle ich nur aus, was mein volles Einverständnis hat. Das gilt für jede einzelne Arbeit, nichts wird von mir unbesehen gezeigt.

Nun ist die Geschichte der RAF sicher kein Feld für künstlerische Spekulationen. Aber was ist mit der Utopie, mit dem Möglichkeitssinn, den Kunst stets mittransportiert? Oder soll man sich die Ausstellung als Trauerarbeit in Bildern vorstellen?

Es ist doch traditionell die Kunst, die im Sinne des Denkmals, des Memorials, des Mahnmals die Trauerarbeit leistet. Man muss sich in Berlin nur einmal umsehen, welche Verbrechen und Traumata deutscher Geschichte über Kunst visualisiert und öffentlich werden. Es geht um die Trauer um die Opfer, die Verarbeitung von Geschichte und hoffentlich ein Lernen aus der Geschichte. Daher sollen mir nicht die gleichen Leute, die sonst Monumente in Auftrag geben, im Fall der RAF erklären: Halt, hier hat die Kunst nichts zu suchen.