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Archiv-Artikel

Keine Zeit für Zehnvergnügen

Bei den Olympia-Qualifikationen in Ratingen geben drei junge deutsche Zehnkämpfer überraschend Anlass zu Hoffnungen – allerdings erst für die Spiele 2008 in Peking. In Athen sollen die Talente nun vor allem lernen

RATINGEN taz ■ Florian Schönbeck taumelte über die Bahn wie ein angeschlagener Boxer kurz vor dem Knockout, er ging in die Knie, rappelte sich noch einmal auf und beschloss dann, doch lieber am Boden zu bleiben. Die übersäuerten Beinmuskeln verweigerten einfach den Dienst. Also kroch er auf allen Vieren über die Ziellinie des 1.500-Meter-Laufs, der letzten Disziplin bei der Olympia-Qualifikation des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) in Ratingen. Dem zuständigen DLV-Trainer Claus Marek (Kamp-Lintfort) hat das gut gefallen: „Die Jungs haben genau das gezeigt, was ich sehen wollte“, sagte er, nämlich Kampf; die Disziplin heißt ja nicht Zehnvergnügen. Der Karlstädter Stefan Schmid, mit seinen 34 Jahren der Letzte aus einer Generation besserer deutscher Zehnkämpfer, erklärte nach seinem vierten Platz mit 7.855 Punkten jedenfalls beruhigt seinen Rücktritt angesichts der Entwicklung seiner jüngeren Gegner: „Sie sind hier erwachsen geworden.“

Was freilich noch nicht heißt, dass sie auch schon reif sind für große Taten. Aber „wir können optimistischer in die Zukunft blicken“, fand Schmid. Vor einem Monat, nach den ersten Saison-Wettkämpfen, hatte Marek ja noch schwarz gesehen: „Da hat mich das Leistungsbild erschüttert“, gab er zu. Nun haben aber wie erhofft drei Zehnkämpfer die DLV-Kriterien für die Olympia-Nominierung erfüllt: Dennis Leyckes (Uerdingen/8.172 Punkte), Florian Schönbeck (Regensburg/8.044) und Stefan Drews (Ahrensburg/8.032).

Früher hätten diese Punktzahlen dem DLV nicht gereicht, um einen Athleten zum internationalen Saisonhöhepunkt zu schicken – da forderte er einen Leistungsnachweis von mindestens 8.180 Punkten. Aber in Athen wird der Verband sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen mit den maximal möglichen drei Athleten antreten. Bei den Siebenkämpferinnen werden das voraussichtlich Sonja Kesselschläger (Neubrandenburg/6.193 Punkte), Claudia Tonn (Paderborn/6.169) und Karin Ertl (München/6.165) sein. Die endgültige Entscheidung steht noch aus, weil die Bundestrainer die Ergebnisse der Europacups am nächsten Wochenende abwarten wollen. „Aber Ratingen genießt Priorität“, versicherte Claus Marek, „weil hier der Kampf Mann gegen Mann stattfand“ beziehungsweise Frau gegen Frau.

Auch für den Veteranen Stefan Schmid war das ein entscheidendes Kriterium. Irgendwann, irgendwo mal 8.000 Punkte gesammelt zu haben, sei zwar schön und gut, „aber das muss man erst einmal bei einem Qualifikations-Wettkampf im direkten Vergleich bestätigen“, sagte Schmid und bilanzierte: „Heute haben die Jungen gezeigt, dass sie mit dem Druck umgehen können.“ Dafür dürfen sie nun zum weiteren Lernen nach Athen fahren, wo man freilich nicht allzu viel von ihnen erwarten sollte. Im internationalen Vergleich reihen sich die DLV-Zehnkämpfer momentan ja bloß in der langen Schlange hinter den Top Ten ein. Claus Marek sagt: „Wir werden erst im nächsten Olympia-Zyklus ihr Leistungsvermögen sehen.“

Torsten Voss, 1987 Weltmeister in Rom und heute Trainer von Dennis Leyckes, sieht das auch so. „Ich hoffe zwar, dass es in Athen weiter bergauf geht“, sagte er über seinen Athleten, „aber vom Alter her sind seine richtigen Spiele diejenigen 2008 in Peking.“ 26 wird Leyckes dann sein, der Jugend-Weltmeister des Jahres 2000 und Sohn des Junioren-Europameisters von 1973, Dieter Leyckes. Der besiegte damals übrigens im direkten Vergleich den heutigen Bundestrainer Claus Marek: „Wir waren technisch nicht so sauber damals, aber wir haben gekämpft.“

Das genügte in Ratingen offenbar auch den Zuschauern, denn sie blickten generös über die Punktzahlen hinweg und feierten Kampfgeist und Leidenschaft der Athleten. Den Experten fiel jedoch auf, dass den meisten Zehnkämpfern der nächsten Generation die Grundschnelligkeit fehlt für den Vorstoß in die absolute Weltspitze. Stefan Schmid hat bei seinem Sportstudium eine Arbeit über das Zehnkampf-Training geschrieben und dabei festgestellt, dass der Weitsprung die Schlüsseldisziplin ist. Da treffen Schnelligkeit und Sprungkraft aufeinander, die wichtigsten Komponenten für einen Zehnkämpfer, und da war Schmid mit seinen 7,51 Metern auch in Ratingen noch der Beste. Der Unterfranke ist mit seiner Bestleistung von 8.485 Punkten, vor vier Jahren in Ratingen erzielt, Zehnter der ewigen deutschen Bestenliste, und sein Trainer Alfred Maasz glaubt: „Das wird er auch noch eine Weile bleiben.“ Da können die Jüngeren kämpfen, soviel sie wollen. JOACHIM MÖLTER