: Figo in der Waschmaschine
Während der Fußball-EM bieten Trikots ein Stück Identität zum An- und Ausziehen. Das lukrative Merchandising läuft auf vollen Touren, denn eine Modesaison dauert nur noch 90 Minuten
von TOBIAS MOORSTEDT
Das Plakat wirkt schon heute wie ein Relikt aus einer lange vergangenen Epoche. „Trage das Sieger-Shirt“ steht auf der Tür des größten deutschen Sportgeschäfts. Gemeint ist das Trikot der Nationalmannschaft, schwarz-weiß, mit den Fahnenfarben unter den Achseln – ein Schweißfleck deutscher Tugenden, die wieder mal nicht genug waren. Die deutsche Mannschaft verschwindet im Orkus – und bereits im Stadion konnte man Fans sehen, die sich das Trikot als schwarz-weißen Schal um den Hals wickelten, sie trauerten lieber mit nacktem Oberkörper, als Individuen, wieder allein. Wie sich ja auch der Torschütze, der sich sein Hemd vom dampfenden Leib reißt, von seinem Team absetzt und signalisiert: Ich war es, nicht die Mannschaft, ich bin der Star.
Seit EM-Beginn verkaufen Sportfachhandel, Straßenhändler und Modeketten wie H & M die Fußballkostüme. Damit jeder beim TV-Karneval mitmachen kann, ist neben dem 60 Euro teuren Nylon-Original auch das billige Fan-Shirt im Angebot. Die schwarz-weißen Baumwollhemden mit dem Aufdruck „Deutschland“ auf dem Rücken gehörten bis vor kurzem zum Straßenbild – 80 Millionen Freunde wollen wir sein. Und doch erreichte die Uniformierung der Massen nie das Ausmaß der WM 2002 in Korea, wo die Begeisterung der Gastgeber nicht nur Stadionkurven, sondern alle Menschen und das ganze Land rot färbte. Nicht die Nationalität allein bestimmt die Kaufentscheidung der Fans. Seit EU-Osterweiterung und Postmoderne ist es komplizierter. Anything goes eben.
Längst ist das Fußballtrikot ein Mode-Statement. Giorgio Armani gestaltete das englische Trikot, der Prada-Designer Neil Barret kleidete die italienischen Kicker ein – „maskulin und subtil“, wie er in einem Interview meinte. Zwar geriet der Auftritt der Azzuri eher feminin, aber zum Glück für Mr. Barret ist Leistung längst nicht mehr das einzige Kaufkriterium. Wer auffällt, verkauft sich gut, das haben die durchaus besiegbaren Löwen aus Kamerun während der WM 2002 bewiesen. Nach dem ärmellosen Vorrundenaus in Korea führte die Einteiler-Kreation der Firma Puma vor einigen Wochen beinahe zur vorzeitigen Disqualifikation für 2006. Mit allen Mitteln konkurrieren die Sportartikel-Giganten um das dominante Design. Nike zum Beispiel hat „seinen“ Nationalmannschaften – unter anderem Holland und Portugal – einen Kreis um die Nummer gezogen. Seitdem ist Ruud van Nistelroy als Mitglied der Nike-Mannschaft zu erkennen.
Sport verkauft Träume, Tagträume meist, und es ist ein altes Kinderspiel, sich mit dem Fußballtrikot ein Stück Identität überzustreifen. „Ich bin Raul, Beckham, Zidane.“ Es ist ein textiles Mimikry an den Star der Stunde. So war bei der EM 2000 das Portugal-Trikot nach einem 30-Meter-Tor von Luis Figo in allen Läden ausverkauft. Im Sportgeschäft kann man sich dann den Fußballernamen als besseres Ich auf den Rücken malen lassen. Being Pavel Nedved. Was wäre das schön. Leider gibt es in Deutschland keine tschechischen Trikots zu kaufen. Nedved bleibt der Underground-Spielmacher der Fußballmode.
Die „Sieger-Shirts“ jedenfalls hängen mittlerweile stark reduziert in den Läden, neben der Rückennummer ein Rabattschild. Anders als der Massengeschmack ist der Fußball eben nicht manipulierbar, auch wenn eine Modesaison nur noch 90 Minuten dauert. Für den Sportfachhandel wird die EM-Einkaufsplanung so zum Tippspiel, das Trikot zum Spekulationsobjekt. Nike zum Beispiel gibt für Spieler wie Luis Figo eine „Limited Edition“ heraus, mit Hochglanzposter und Rückennummer. 1.000 Stück gab es nur, mittlerweile werden sie bei Ebay gehandelt, der Kurs ist gut, Figo steht im Viertelfinale.
Die EM ist eine Modeschau und der Fußballplatz ein Laufsteg. Heute im Trend: Stiernacken, Sonnenbrillen, Schweißbänder. Die sicherste Investition für den Sportfachhandel bleibt daher, auch wenn die Südamerikaner nicht teilnehmen, das brasilianische Trikot mit seinem Geltungsbereich über den Fußball hinaus: gelb-blau. Sonne und Meer. Auch dieses Erfolgsdesign, und das macht Mut, begann mit einer Niederlage. Eingeführt wurde das Trikot im Jahre 1950, nachdem Brasilien bei der Weltmeisterschaft an Uruguay gescheitert war. Verantwortlich gemacht wurde das weiß-blaue, unpatriotische Trikot.
Nun brauchen auch die Deutschen ein neues Design. Die Zeiten der Helden von Bern sind vorbei. Wir haben Farbfernsehen. Schwarzes Trikot, rote Hosen, goldene Stutzen. Wegen 2006. Kein großer Schnitt, aber ein neues Schnittmuster.