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Archiv-Artikel

Heimliche Übergabe

Eine kurze Zeremonie für die neue Regierung – und Zivilverwalter Paul Bremer reiste ab. Die Iraker sind vorsichtig optimistisch

Paul Bremer verabschiedete sich im Anzug, aber mit Militärstiefeln „Legitimität kann es nur durch Wahlen geben“, sagt ein Minister

AUS BAGDAD KARIM EL-GAWHARY

Überraschend und heimlich wurde im Irak gestern Geschichte gemacht. Zwei Tage vor dem offiziellen Datum 30. Juni übergab die Besatzungsverwaltung offiziell die Amtgeschäfte an die neue irakische Regierung. Nur wenige Journalisten, darunter kein einziger Iraker, wurden zu einem nicht genau definierten Ereignis gerufen. Sie mussten ihre Telefone abgeben und wurden in die grüne Zone geführt, jenen schwer bewachten Bezirk, in dem sich die alte Besatzungsverwaltung befand und wo ab heute die US-Botschaft wie die Büros der neuen Regierung untergebracht sind.

Dort im Büro des neuen irakischen Präsidenten Ghasi al-Jawar überreichte der Besatzungsverwalter Paul Bremer um 10.26 Uhr Lokalzeit das offizielle Übergabedokument, unterzeichnet mit „Exverwalter Paul Bremer“. In Anzug und Krawatte, aber mit Militärstiefeln an den Füßen, verabschiedete er sich mit den Worten: „Es ist mir ein Vergnügen, zu übergeben. Die Iraker sind bereit. Das ist der richtige Zeitpunkt. Ich gehe in der Zuversicht, dass die Iraker den Herausforderungen begegnen werden.“ Al-Jawar antwortete: „Dies ist ein historischer und glücklicher Tag für uns Iraker. Wir sehen einem friedlichen und stabilen Irak entgegen. Es gibt keinen Weg mehr zurück.“ Sein Premierminister Ajad Allawi bestätigte während der Zeremonie, dass er eine Vorverlegung der Übergabe gefordert hatte. „Wir meinen, dass wir imstande sind, die Sicherheitslage zu kontrollieren“, verkündete er.

In einer späteren Ansprache vor der Presse forderte er die „freien Brüder“ zur Mitarbeit auf. „Wir fordern alle Patrioten auf, die Terroristen zu bekämpfen, die unsere Kinder töten und unser Land zerstören wollen.“ Allawi sprach – entgegen den Erwartungen – nicht über Details des von ihm zuvor verkündeten neuen Sicherheitsplans, mögliche neue Ausgangssperren und die Verkündung eines Notstandsgesetzes.

Auch der irakische Außenminister Hoschiar Sebari verströmte Optimismus: „Wir sind als neue Regierung bereit, wir haben eine UN-Resolution, die uns unterstützt, und wir wollen der Welt zeigen, dass wir Verantwortung übernehmen können und dass wir fähig sind, die Kontrolle zu übernehmen.“ Er verteidigte die Vorverlegung der Übergabeprozedur. Das sei nichts Ungewöhnliches. Damit sollten Sabotageakte verhindert werden. „Unsere Gegner wollen so viel Chaos wie möglich verbreiten, damit die neue Regierung wie ein Teil der Besatzung aussieht, die weiterhin nicht für Sicherheit und Stabilität sorgen kann“, erklärte er am Rande des Nato-Gipfels in Istanbul.

Auf den Straßen in Bagdad waren die Reaktionen gemischt. Es dauerte mehr als zwei Stunden, bis sich die Nachricht verbreitete: Eine kurze Umfrage in einem Supermarkt im Zentrum der Stadt ergab, dass die meisten zwar überrascht, aber zufrieden waren. In den letzten Tagen kochte in der ganzen Stadt die Gerüchteküche über den offiziellen Übergabetag und über weitere erwartete Anschläge. Vom Staatsstreich über 300 tschetschenische Kämpfer, die die Stadt infiltiert haben sollen, bis hin zu amerikanischen Plänen, die grüne Zone zu evakuieren, war alles zu hören. „Nun beginnt die Post-Saddam-Ära für uns tatsächlich“, sagte einer der Supermarktbesucher. Er hoffe, dass die Regierung ihrer neuen Aufgabe gewachsen sei. Zumindest ihre Mitglieder seien professionell und gut ausgesucht.

Auch wenn die neue Regierung weiterhin keine wirkliche Legitimität besitzt, da sie nicht gewählt wurde, räumen ihr die meisten Iraker doch eine Chance ein. Mehr als zwei Drittel aller Iraker akzeptieren sie nach jüngsten Meinungsumfragen. Das ist eine mehr als doppelt so hohe Zustimmungsrate wie für den Vorgänger, den irakischen Übergangsregierungsrat.

Doch ist es vor allem die Schaffung von Sicherheit, durch die sich die neue Übergangsregierung beweisen muss. Angesichts der schlecht ausgerüsteten und ausgebildeten irakischen Sicherheitskräfte ist nicht jeder optimistisch. Auch die Heimlichkeit der Übergabe selbst hat nicht dazu beigetragen, Zweifel zu zerstreuen. „Das war peinlich. Sie können die Übergabe nicht in der Öffentlichkeit machen und verstecken sich hinter ihren vier Wänden; und das sind die Leute, die jetzt für unsere Sicherheit sorgen sollen“, sagt der Übersetzer Zuhair Radwan, dessen Familie während des Krieges von der taz begleitet worden war.

Sicherheit, sagt er, sei das größte Problem. Über 14 Monate nach Kriegsende ist das Gefühl der Unsicherheit in Bagdad groß; und das Risiko, einem Verbrechen zum Opfer zu fallen oder zufällig am falschen Ort zu sein, wenn eine US-Patrouille oder ein irakischer Regierungsbeamter angegriffen wird, ist nicht gering. Auch die Angst, dass mit dem Rückzug amerikanischer Truppen kriminelle Banden die Städte übernehmen könnten, ist groß. Die haben Bagdad schon längst für den Tag X unter sich aufgeteilt, geht das Gerücht.

In den neuen Ministerien selbst gibt man sich dagegen optimistischer. Dort wird auch der gestrige Tag zunächst wenig verändern. Die meisten Ämter wurden bereits in den letzten Wochen souverän geleitet. „Wir werden neue Prioritäten setzen“, verspricht Adnan Janabi, Minister ohne Geschäftsbereich, der als Ölexperte vier Jahr lang in Wien gearbeitet hat und Chef eines der größten Stämme im Land ist. „Wir werden unser Geld anders ausgeben“, kündigt er an. „Irakische Baufirmen kosten nur ein Zehntel der teuren amerikanischen Firmen“, sagt er. „Schließlich bauen wir seit 6.000 Jahren, seit babylonischen Zeit“, ergänzt Janabi. Auf diese Weise würden auch mehr Arbeitplätze geschaffen. „Auch unsere Sicherheit werden wir jetzt direkter handhaben, nicht mit amerikanischen Panzern, die auf alles schießen, was sich bewegt.“ Doch was die Grundlage seiner Regierung angeht, gibt sich Janabi keiner Illusion hin. „Legitimität kann es nur durch Wahlen geben. Wir sind nur eine Art Patenregierung und eine Brücke bis zu den Wahlen, die nach dem Zeitplan bis zum Januar nächsten Jahres stattfinden“, sagt er.

Aber Janabi betont auch: „Wir haben eine völlig andere Tagesordnung als der letzte Regierungsrat, der immer in Richtung Paul Bremer berichten musste.“ Die neue Regierung stehe unter einem sehr hohen Erwartungsdruck. „Wir brauchen Arbeitsplätze, um Sicherheit zu schaffen, und wir brauchen Sicherheit, um Arbeit zu schaffen. Diesen Teufelskreis müssen wir noch vor den Wahlen durchbrechen“, beschreibt er seine wichtigste Aufgabe.

Für die irakischen Bürger wird die neue Regierung übrigens nun zugänglicher. Um zur Besatzungsverwaltung zu gelangen, mussten Iraker bisher zwei verschiedene Identifikationskarten vorweisen und wurden dreimal durchsucht. „Anhalten verboten, warten verboten, parken verboten – bleiben Sie weg: Schusswaffengebrauch!“, lauten die Warnungen, die auf die bombensichere Betonwand gepinselt sind.

Dieser Eingang führt ab sofort zu der neuen amerikanischen Botschaft, der mit 3.000 Mitarbeitern größten weltweit und nach den Worten ihres neuen Chefs John Negroponte „eine diplomatische Vertretung, die unter besonderen Umständen operieren wird“. Um zur neuen irakischen Regierung zu gelangen, sind nur ein Personalausweis und zwei Durchsuchungen nötig. Und statt amerikanischer Soldaten stehen dort nepalesische Soldaten mit irakischen Polizisten am Tor. Für das Ansehen und das Überleben der neuen irakischen Regierung wird nun von Bedeutung sein, wo die wirklichen Entscheidungen über die Zukunft des Landes gefällt werden – hinter dem nepalesisch-irakischen oder dem amerikanischen Tor.