berliner szenen Im Supermarkt

Subjekt der Abweisung

Eine Stunde vor Mitternacht machte er sich auf den Weg. Er ging zum Supermarkt. Er liebte es, so spät wie möglich in den Supermarkt zu gehen. Er mochte die Leere und die Fülle der Regale. Die Stille im Raum und das leise Säuseln des Supermarktsenders. Es war halb zwölf. Am Engelbecken ging eine junge Frau in einem Trainingsanzug mit einem wuscheligen Hund über die Straße.

Der Supermarkt strahlte hell in die Nacht. Fabian suchte Erholung, Ablenkung von einer Abweisung, Trost. Er verlor sich zwischen Gemüsesorten und fühlte sich alt. Schlurfend wie ein Greis, soziophob bis zum Anschlag, in einer Stimmung, die Chips und Fernseher sagt, aber Liebe meint. Rockstar kauft Weißwein im Tetrapack. Sie nennen es Supermarkt. Verbraucher laufen mürrisch durch die Regalreihen. Später verstauen sie Taschen und Tüten in weit offene Kofferräume. Glänzendes Blech, einkadrierte Einkaufswagen.

Die Regale waren halbvoll, jemand fluchte im Nebengang, Fabian schüttelte sich. Er bog in die nächste Abteilung und fand die Ruhe wieder. Die allerdings schnell dahin war. Denn da sah er das Subjekt seiner Abweisung. Das Subjekt trug rote Stiefeletten und Schottenrock, einen schwarzen Mantel und stand bei den Bananen. Es wirkte allein und konzentriert. Die Preisschilder leuchteten in Neongrün. Der Supermarktsender spielte süffige Geigenmusik. Eine unendlich lange Warteschlange vor der einzig geöffneten Kasse. Fabian versteckte sich hinter einem Stapel Cornflakes und beobachtete sie, wie sie eine Sektflasche, Hustenbonbons, kühlpflichtige Lebensmittel mit Milchinsel und Zigaretten aufs Band legte. Er sah zum letzten Mal die Haut ihrer Unterarme, die Haut ihres Halses im Neonlicht. RENÉ HAMANN