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Archiv-Artikel

Säuretanker verseucht Hamburger Hafen

Chemiefrachter der Norddeutschen Affinerie kentert nach Kollision im Petroleumhafen. Hochgiftige Schwefelsäure vergiftet Fluss und Fische. Gegen Kapitän wird wegen Trunkenheit ermittelt. Gefahr einer Umweltkatastrophe noch nicht gebannt

von Alexander Diehl und Gernot Knödler

Der Hamburger Hafen ist knapp an einer Umweltkatastrophe vorbeigeschrammt, die Gefahr ist aber noch nicht gebannt. Nach dem Zusammenstoß mit einem Containerfrachter ist ein Gefahrguttankschiff der Norddeutschen Affinerie (NA) am Montagabend im Petroleumhafen in Waltershof gekentert. Ein knappes Dutzend Menschen wurden durch giftige Dämpfe verletzt, konnten aber nach ambulanter Behandlung im Krankenhaus entlassen werden.

Zwar sind bisher nur geringe Mengen der Schwefelsäure ins Hafenbecken gelangt, weil die „Ena 2“ ein so genannter Doppelhüllentanker mit zwei Tankwänden ist. Bei einem älteren Schiff mit nur einer Außenhülle hätte der Unfall vermutlich zu einer Katastrophe geführt. Sollte es bei der für heute geplanten Bergung Schwierigkeiten geben, müsste ein Teil des Containerterminals Burchhardkai gesperrt werden. Die austretende Säure hat im Hafenbecken nach Schätzung der Umweltbehörde mehrere Tausend Jungfische getötet. Außerhalb des Beckens verpuffe jedoch ihre Wirkung. Gegen den Kapitän des Tankschiffs wird wegen Trunkenheit ermittelt.

Die „Ena 2“ sollte 500.000 Liter Schwefelsäure von der NA auf der Peute ans andere Ende des Hafens transportieren, wo der ätzende Stoff bei der Firma Dupeg zwischengelagert werden sollte. Beim Einbiegen in den Parkhafen kollidierte das speziell für den Säuretransport konzipierte Binnenschiff mit dem Containerriesen „Pudong Senator“. Der Wulstbug des Seeschiffes hat eine charakteristische Delle am Rumpf der 46 Meter langen „Ena 2“ hinterlassen, die es aber aus eigener Kraft noch bis zum Kai am Eingang zum Petroleumshafen schaffte.

Während die „Pudong“ ohne wesentlichen Schaden auslaufen konnte, drang bei der „Ena 2“ Wasser in den Hohlraum zwischen der Außenhaut und den vier Säuretanks. Das am Kai bereits festgemachte Schiff kenterte. Der Unfall ist nach Angaben von NA-Chef Werner Marnette vom Oberhafenamt am Radarschirm beobachtet worden. Warum es trotzdem zu der Kollision kam, ist offen. „Die Auswertung läuft noch“, hieß es bei der Wirtschaftsbehörde.

Nach Schätzung der NA sind durch die Belüftungsstutzen, die das Füllen der Tanks ermöglichen, 3,2 Kubikmeter Schwefelsäure ausgelaufen: Wäre am Montag ein Taucher am Schiff ins Hafenbecken geschickt worden, wäre der „blank wieder ‘rausgekommen“, vermutete Feuerwehrsprecher Peter Braun. „Da wäre der Anzug wohl weg gewesen.“ Der Ph-Wert in dem Becken, der normalerweise zwischen sieben und acht liegt, ist durch den Unfall auf bis zu vier gesunken. Der fünf bis zehn Zentimeter lange Nachwuchs an Weißfischen und Brassen, aber auch viel Plankton und viele Algen haben das nicht überlebt.

Die Feuerwehr beregnet den Havaristen ständig aus Wasserwerfern, um zu verhindern, dass weiteres Aerosol in die Luft gelangt. Sie misst an sieben Stellen den Säuregehalt des Wassers. Die Affi überwacht die Temperatur der Schiffshaut, um rechtzeitig festzustellen, ob in dem gekenterten Tanker gefährliche chemische Reaktionen ablaufen.

Gestern Abend um 21 Uhr sollte der für die Bergung aus Bremerhaven angeforderte Schwimmkran eintreffen. Dieser soll das Schiff aufrichten, damit es leer gepumpt werden kann. Während der Bergung müssen die Tanks und Hohlräume wiederholt auf explosive Mischungen von Schwefelsäure und Wasser hin kontrolliert werden. Schlimmstenfalls könnte beim Aufrichten des Schiffes ein Säuretank aufreißen, so dass Wasser und Schwefelsäure in großen Mengen miteinander reagierten, in die Luft spritzten und ätzendes Aerosol entstünde. In diesem Fall würde der Windrichtung folgend ein Korridor von ein Kilometer Breite evakuiert.

Der stellvertretende GAL-Fraktionschef Christian Maaß forderte gestern eine umfassende Untersuchung des Vorfalls. Es müsse geklärt werden, „wie mitten im größten deutschen Seehafen eine solche Beinahe-Katastrophe geschehen konnte“. Als Konsequenz verlangt Maaß eine Ausweitung der Alkoholkontrollen speziell für die Kapitäne von Gefahrguttransportern. Die NA als Eigentümer müsse sich fragen lassen, ob sie alles Nötige zur Vermeidung des Unfalls ergriffen habe.