DAS THEATER DER RUHRFESTSPIELE WAR DGB PUR – UND DER MERKT’S NICHT : Castorf muss bleiben
Nun muss Frank Castorf also gehen. Dabei hatte er als neuer künstlerischer Leiter der Ruhrfestspiele klare Vorstellungen und ein überzeugendes Konzept entwickelt: Er wollte zeitgenössisches Theater, stellte prononciert politisches Theater in den Vordergrund und machte selbst den Anfang mit seiner Inszenierung von „Gier nach Gold“ – einer radikalen Kritik am alles beherrschenden, zerstörerischen Egoismus unserer Tage.
Castorf hat das Niveau des Festivals deutlich gehoben. Dass es nicht mehr Zuschauer gefunden hat, liegt vor allem an der mangelhaften Öffentlichkeitsarbeit – für dieses Versäumnis verdienen Castorf und seine Crew einen Rüffel. Ihn aber deswegen zu feuern hieße, mit Kanonen auf Spatzen schießen.
Castorf selbst dürfte sich an schwere Zeiten erinnern. Er machte seine ersten Schritte in der DDR – und einflussreiche Kulturfunktionäre der SED fanden den jungen Regisseur schrecklich und verbannten ihn ins vorpommersche Anklam. Castorf hielt durch – um heute an den Gewerkschaften zu scheitern. Dürfte er nicht Ähnlichkeiten entdecken zwischen seiner Vergangenheit in der DDR und seiner Gegenwart in der Bundesrepublik?
Dabei ist das Ganze ein schreckliches Missverständnis. Die wichtigsten Aufführungen dieses Jahres in Recklinghausen waren künstlerische Bestätigungen von Grundaussagen der Gewerkschaften und ihrer Gesellschaftskritik. Franz Wittenbrink ist es gelungen, mit seinem „Arbeiterliederabend“ die Geschichte der Arbeiterbewegung zu reflektieren – wobei ein Hauptpunkt der Kritik auf allen totalitären Richtungen lag. Das ist DGB pur. Wieso weiß der das nicht zu schätzen?
Die Gewerkschaften sollten sich an eine ihrer überzeugendsten Weisheiten erinnern: Einigkeit macht stark! Nehmt den Versuch, den Vertrag aufzulösen, zurück. Eine Kündigung hätte vor Bühnenschieds- und/oder Arbeitsgerichten sowieso wenig Aussicht auf Bestand. Wie mahnte schon der sterbende Attinghausen in Schillers „Wilhelm Tell“: „Seid einig, einig, einig!“ ULRICH FISCHER
Ulrich Fischer ist Theaterwissenschaftler und Kulturjournalist