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Archiv-Artikel

Amerikanischer Albtraum: David Thomas und die Pale Boys in der Fabrik Sänger der verlorenen Seelen

Unterwegs sein in einer ungewissen Landschaft, die Fahrbahn ist regennass, und Neonlichter spiegeln sich in den Fenstertropfen auf der Scheibe. Wohin die Fahrt geht, ist nicht ganz klar, vielleicht steht ein Treffen mit einer verflossenen Liebe bevor, das nichts Gutes bringen wird. Und sei es nur, dass die ganzen beschissenen Lebenslügen wieder aufplatzen wie eine alte Wunde.

In dieser Situation nimmt David Thomas oder wer immer das ist, von dem er in seinen Liedern singt, einen Schluck aus einer Whiskyflasche und steuert weiter durch die Nacht. Die Sinne sind jetzt angenehm umnebelt, doch leider noch nicht so sehr, dass alle bösen Ahnungen schwinden. Im Gegenteil, jetzt kommen sie erst recht, als kleine Gespenster, die auf der Motorhaube sitzen und grinsen.

„And there are monsters in the rain“, singt Thomas auf seiner neuen Platte, die den hoffnungsfrohen Namen 18 Monkeys on a Dead Man‘s Chest trägt. Der schwergewichtige Sänger, der einst mit der Band Pere Ubu half, den Punk zu erfinden, ohne selber jemals Punk zu sein, näselt diesen Text wie eh und je. Lustiger wird die Musik dadurch nicht, eher noch verstörender. „The river is in the air“, geht das Lied weiter, „and there is nothing else to breath.“

Während Musiker wie der Hollywood-Analytiker Randy Newmann Chronisten des amerikanischen Traumes sind, ist David Thomas der Chronist des amerikanischen Albtraums. Konsequenterweise ist sein Universum nicht in den glitzernden Metropolen angesiedelt, sondern in der Provinz. Man riecht in seinen Liedern den Schwefelgeruch heruntergekommener Industrielandschaften, durch die die verlorenen Seelen irren, denen er seine Stimme leiht. Manchmal verfärbt sich diese Stimme ins Dunkle, dann klingt sie müde und schwer. Nicht selten singt sie in solchen Augenblicken von einem Ende, das befürchtet, ein bisschen aber auch herbeigesehnt wird.

Denn mindestens so sehr wie um das Leben, geht es bei David Thomas um die angemessene Art zu Sterben. „I was scalded by the steam and I died inside the rain“, singt er in dem Song „Prepare for the End“, und die Musik dazu klingt wie ein klammer, dunkler Herbsttag, an dem schwarze Krähen über Schutthalden kreisen.

Überhaupt die Musik. Es ist schon lange nicht mehr Punk, es ist nicht Country und auch nicht Rock. Manchmal klingt sie entfernt nach Blues, aber einem, der buddhistische Mantras eingeatmet hat und anschließend mit Weltraumklängen versetzt worden ist. Dann wieder hört sie sich an wie verlorene Vogelschreie, um sich im nächsten Augenblick mit der Energie eines Maschinenraums kurzzuschließen, mit dem Stampfen der Kolben, dem Quietschen rostiger Scharniere.

Es ist eine Musik, die es so nur bei David Thomas gibt, dem großen Weisen des Rock‘n‘Roll, der angetreten ist, die Angst der Menschen in Musik zu verwandeln. Die Anarchie seiner Auftritte mit Pere Ubu ist verschwunden, aber man muss dem nicht hinterhertrauern. An die Stelle von Pere Ubu ist etwas getreten, das vielleicht noch größer ist. Worum es jetzt bei David Thomas geht, der heute in der Fabrik mit den Two Pale Boys Keith Moliné und Andy Diagram auftritt, ist Wahrheit. Nicht mehr und nicht weniger. Es gibt nicht viele Musiker, von denen sich das sagen lässt. Daniel Wiese

Heute, 21 Uhr, Fabrik