piwik no script img

Archiv-Artikel

There‘s no riot going on

Der britische Soulsänger Joseph Malik gab ein kostenloses Konzert auf dem Boxhagener Platz – in Zusammenarbeit mit der Obdachlosenzeitung „Motz“

Ungewöhnliche Wege sind es, auf denen die Musikindustrie versucht, ihre Künstler an den Mann zu bringen: Die Konzerte, auf denen Joseph Malik, der schottische DJ und Soul-Sänger mit nigerianischen Wurzeln, sein zweites Album „Aquarius Songs“ in Deutschland vorstellen will, finden nämlich nicht in Fußballstadien oder Clubs statt, sondern umsonst & draußen in Fußgängerzonen und dergleichen. Und organisiert werden sie in Zusammenarbeit mit Obdachlosenzeitungen.

Joseph Malik war früher mal selber obdachlos. Seine Karriere begann Anfang der Neunziger als Produzent und DJ. Wegen seines sozialen Engagements wurde der Musiker auch schon von Tony Blair eingeladen. Diese Einladung hat er wegen des kriegerischen Engagements des britischen Premiers mit den Worten „Ich fühle mich nicht gut dabei, in diesen Zeiten beim Prime einen Drink zu nehmen“ ausgeschlagen, wie die mitveranstaltende Agentur kolportiert.

Um 17 Uhr sollte das Konzert am Boxhagener Platz stattfinden. Da war aber nur das Gleiche wie immer los – Kinderschwemme auf den Spielplätzen, ein bisschen Seuche Cannabis am Rande, ein paar Menschen tranken Bier und Herbie von der motz stand am Stand der Obdachlosenzeitung.

Auf einem Pritschenwagen wurde eine kleine Bühne feinjustiert, leider im Schatten und nicht in der Nachmittagssonne. Eben noch hatte Herbie mit Joseph Malik, den er sehr nett fand, einen Hamburger gegessen, nun war der Künstler plötzlich weg. So gingen wir ein Bier trinken. Herbie mag kein Beck’s, weil es damals, als er in Saudi-Arabien auf Montage war, nur Beck’s gegeben hatte und in dem Beck’s so viel Chinin gewesen war, dass man sich nach vier Bier schon fühlte, als hätte man zwanzig weggemacht.

Um zwanzig vor sechs begann der Auftritt. Links stand der gut aussehende Joseph Malik, friemelte an der Elektronik herum und sang sehr schön. Rechts saß Maliks Produzent und begleitete den Sänger mit einer Akustikgitarre. Mal klang es wie Country, mal wie Blues, mal ziemlich soulig, ein bisschen Elektronik war auch dabei. Vor der Bühne standen, komischerweise in zehn Meter Abstand, vielleicht dreißig Leute und hörten zu.

In einem Song – „Casualties of War“ – der Mr. Bush und Mr. Blair gewidmet war, reimten sich „pain“, „shame“ und „crying game“. Ein Song war für die motz und ging später über in „Fever“, wieder mit Bush- und Blair-Bezug. Ein unangenehmer Trinker beschimpfte den zurückhaltenden Sänger als „Flachwichser“; ein angenehmer war begeistert, dass Malik den Blues habe. Den Zugaberufen wurde entsprochen. Nach 45 Minuten war der Auftritt zu Ende. Weil man nicht wusste, was man fragen sollte, gab man dem Sänger die Hand. Er sagte „Hey man“ und man war fünf Minuten lang stolz. Als besonders raffinierter Schachzug der Plattenfirma muss wohl gelten, dass es keine CDs zu kaufen gab, sondern nur alte und neue Ausgaben der Obdachlosenzeitung motz sowie Friedensaufkleber mit durchgestrichenen Bomben. DETLEF KUHLBRODT